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”UNDERGROUND EMPIRE 7”-Datasheet

Contents:  Tori Amos-"It's No Metal... But I Like It"-Artikel

Date:  22.05.1993 (created), 02.11.2012 (revisited), 24.01.2022 (updated)

Origin:  UNDERGROUND EMPIRE 7

Status:  published

Task:  from paper to screen

Availability:  original printed issue sold out! Several earlier issues still available; find details here!

Comment:

Es liegen etliche Stories und Reviews schon seit Jahren unveröffentlicht auf Halde, weil eigentlich der damalige Autor noch ein "Extra-Info" hätte verfassen sollen. Doch diese Idee soll nun in die Tonne gekloppt werden, weil auf diese Weise diese alten Artikel vielleicht nie online gehen. Daher wird meine Wenigkeit - sofern möglich - ein "Ersatz-'Extra-Info'"verfassen. Sollte der damalige Autor doch noch Lust verspüren, etwas zu diesem Kasten beizusteuern, so werde ich das dann eben hinzufügen.

 


Hier haben wir erstmals "It's No Metal..." mit einer Headline gehabt, die ich auch wie im gedruckten Heft für die Onlineversion verwendet habe - heuer aber mit den ordentlich bereinigten Buchstabenabständen.

Supervisor:  i.V. Stefan Glas

 
 

Titel: It's No Metal... But I Like It
Dekolinie

Tori Amos-Logo

Tori Amos-Headline

Es gibt nur wenige Künstler, bei deren bloßer Erwähnung ich bereits eine Gänsehaut bekomme. Einer hat diesen Status schon nach einer einzigen Veröffentlichung erreicht. Wie es dazu kam, und weshalb gerade dieser Musiker bei mir zur angebeteten Kultfigur wurde, will ich versuchen, Euch im folgenden Artikel zu erklären. Es wird wohl auch bei einem Versuch bleiben, denn mir fehlen schier die Worte, die nötig wären, dem Interpreten auch nur annähernd gerechtzuwerden. Tori Amos, so der Name dieser unbeschreiblichen Pianistin, hat mit ihrem Album »Little Earthquakes« ein Kleinod musikalisch-einfühlsamer Genialität veröffentlicht, das in keinster Weise Klassikern á la »Kick Inside« (Kate Bush) oder der ersten GYPSY KYSS nachsteht, ohne diese in irgendeiner Weise zu kopieren. Selbst Vergleiche fallen mir bei der 29-jährigen kaum ein. Viel zu eigenständig und kompromißlos erscheinen ihre Eigenkompositionen, die sie ausschließlich im Alleingang schreibt.

Der musikalische Werdegang von Fräulein Amos führte durch viele Täler, und beinahe wäre sie 1988 im Treibsand des Musikgeschäftes untergegangen. Damals erschien unter dem Titel »Y Kant Tori Read« das Debutalbum, auf dem sich Tori Lee Aaron-like als "Metal Queen" zu verkaufen versuchte. Heute ist ihr diese Vergangenheit eher peinlich, was anhand des gebotenen Materials auch durchaus verständlich erscheint. Obwohl sie mit dem überlangen Abschlußtitel ›Etienne‹ bereits die heutige Richtung andeutete. Vergleichsweise belanglos erscheinen dagegen andere Titel, die sich zwischen Pop und Metal bewegen, sich im Endeffekt aber nur durch Toris unbeschreibliche Stimme vom Mainstreambrei abheben. Vor allem angesichts ihrer musikalischen Vorbildung, erscheint »Y Kant Tori Read« fast schon erschreckend banal. Blenden wir also zurück.

Als Tochter eines Methodistenpfarrers und einer Indianerin wandern ihre zarten Finger bereits in frühester Kindheit über die Tastatur eines Pianos. Es folgen sechs Jahre musikalische Ausbildung am "Peabody Institute" in Baltimore. Betrachtet man Tori Amos heute, so ist man verwundert, daß sie nicht bereits viel früher wegen Undiszipliniertheit von dieser Kadettenanstalt vertrieben wurde. Wahrscheinlich haben sie nur ihr ursprüngliches Ansinnen, klassische Musik zu spielen und der Wunsch, ihren Vater nicht enttäuschen zu wollen, so lange dort gehalten. Sie beginnt, durch Homosexuellenbars und Clubs zu tingeln. Meist begleitet von ihrem Vater, da sie aufgrund ihres Alters allein noch gar keinen Zutritt zu diesen Orten hatte. Hier entdeckt sie bereits ihre Vorliebe für Evergreens á la ›As Time Goes By‹ und Judy Garland. Auch während dieser harten Zeit nimmt sie weiterhin Stunden bei einem Komponisten des National Symphony Orchestras, der ihr das Analysieren eines Songs beibringt. Nach zehnjähriger Cluberfahrung strandet die an Selbsterfahrung gereifte, junge Pianistin in der Musikmetropole L.A.. Bereits kurze Zeit später scheint ein Wunschtraum wahr zu werden. TIME WARNER winken mit einem Deal! Es erscheint das bereits erwähnte Debut, auf dem sie quasi zur Metalamazone degradiert wird. Selbst ihr heißgeliebter Flügel kommt nur sehr sporadisch zum Einsatz. Und welcher Vogel, wie anmutig er auch sein mag, vermag, ohne Flügel zu fliegen?

Es folgen Jahre der Regeneration, in denen Tori beginnt, eigene Songs zu schreiben. Verunsichert durch den Mißerfolg des Debuts, wagt sie aber lange nicht den erneuten Schritt an die Öffentlichkeit. Erst als sie ihrem langjährigen Weggefährten und Produzenten Eric Rosse einige Kostproben ihrer songwriterischen Fähigkeiten offenbart, drängt dieser sie zu einer Aufnahmesession. So erhellt Ende 1991 ein Album das schnöde Dasein vieler Musikliebhaber, dessen Titel fast schon programmatisch erscheint. »Little Earthquakes« beschreibt so treffend den Vorgang, der bereits beim ersten Genuß der zwölf unendlich ausdrucksstarken Kompositionen in mir ausgelöst wurde und bis heute vorherrscht. Kaum ein Tag vergeht, an dem diese kleinen Erdbeben nicht meine Gefühlswelt in Unordnung bringen. Es beginnt schon beim schlicht genial anmutenden Coverartwork, auf welchem Tori sich im Gegensatz zum Erstling nicht dem Betrachter aufdrängt, sondern behutsam in ihn eindringt.

Was aber wäre ein musikalisch superbes Album ohne entsprechende Lyrik. Auch hier wird der Genießer nicht enttäuscht. Passend zu ihrem elfenhaften Gesang, der mich immer wieder in transzendentalen Zustand versetzt, entführen die Texte den Hörer mal in eine universelle Oper, um dort mit Judy Garland, Buddha, Confuzius und den Sieben Zwergen Kreuzworträtsel zu lösen, mal in eine traumhafte Winterlandschaft. Toris Texte zeugen von einer gehörigen Portion Lebenserfahrung und Selbstkritik. So basieren ›Crucify‹ und ›Girl‹ auf der Grundaussage, sich selbst zu akzeptieren, sich nicht zu verstecken; sind damit quasi autobiographisch, wie die meisten Songs von »Little Earthquakes«. Geschickt verpackt in kleinen, teils zynisch-ironischen Wortkreationen, erzählt die Elfe Tori ihre Weisheiten. Dabei macht es Spaß, auch nach mehrfachem Lesen noch winzige Feinheiten zu entdecken. Aber, bevor ich jetzt ein seitenfüllendes Review schreibe und Stefan damit endgültig in den Wahnsinn treibe (Aga arööh! - Stefan Glas), es gibt noch eine Seite von Tori, die ich nicht vergessen möchte. Tori Amos live on stage! Erst hier kommt der Ausdruck ihrer Musik zur völligen Entfaltung. Wenn Tori Amos die Bühne betritt, steht die Halle in Flammen. Dieses zierliche Geschöpf mit der roten Mähne verwandelt jeden Auftrittsort in eine heilige Stätte. Ohne die orchestralen Arrangements des Albums bekommen die Stücke eine noch animalischere Anziehungskraft. Jeder einzelne Zuschauer wird auf fast magische Weise in ihren Bann gezogen. Die Konfrontation mit dem Publikum suchend, plaziert sie sich auf der äußersten Kante des Pianoschemels, spreizt ein Bein gen Zuhörer, um mit ihren Blicken die Menge zu beobachten. Ich habe sie jetzt in einem kleinen Club, einer großen Halle und bei einem Open Air gesehen und darf wohl behaupten, daß diese fast zerbrechlich wirkende Person sofort und uneingeschränkt die Aufmerksamkeit auf sich zieht, ganz selbstverständlich, so gar nicht aufdringlich. Offensiv konfrontiert sie in dem a capella vorgetragenen ›Me And A Gun‹ jeden mit einer Vergewaltigung. Mit einem frechen Grinsen in den Mundwinkeln schießt sie ihre Pianoversion von ›Smells Like A Teen Spirit‹ (NIRVANA) nach und legt mit ›Thank You‹ (LED ZEP) gar noch einen drauf.

Sollte jetzt jemand auf den Geschmack gekommen sein, dem seien außer dem Album noch diverse, teils allerdings streng limitierte Maxi-CDs ans Herz gelegt, auf denen Tori diverse neue Songs nur am Piano spielt. Tori Amos ist für mich die Entdeckung der '90er. Wann folgen weitere Erdbeben?

http://www.toriamos.com/


Holger Andrae

Tori Amos im Überblick:
Tori Amos – Under The Pink (Rundling-Review von 1994 aus Underground Empire 7)
Tori Amos – Underground Empire 7-"It's No Metal... But I Like It"-Artikel (aus dem Jahr 1994)
Playlist: Tori Amos-Album »Little Earthquakes« in "Playboylist Underground Empire 6" auf Platz 1 von Holger Andrae
Playlist: Tori Amos-Album »Under The Pink« in "Playboylist Underground Empire 7" auf Platz 3 von Andreas Thul
Playlist: Tori Amos-Album »Under The Pink « in "Playboylist Underground Empire 7" auf Platz 1 von Holger Andrae
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"It's No Metal... But I Like It" im Überblick:
"It's No Metal... But I Like It" – Underground Empire 3-"It's No Metal... But I Like It"-Artikel (aus dem Jahr 1990)
"It's No Metal... But I Like It" – Underground Empire 4-"It's No Metal... But I Like It"-Artikel (aus dem Jahr 1991)
"It's No Metal... But I Like It" – Underground Empire 5-"It's No Metal... But I Like It"-Artikel (aus dem Jahr 1991)
"It's No Metal... But I Like It" – Underground Empire 6-"It's No Metal... But I Like It"-Artikel (aus dem Jahr 1992)
"It's No Metal... But I Like It" – Underground Empire 7-"It's No Metal... But I Like It"-Artikel (aus dem Jahr 1994)
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