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  UE-Home → Online Empire 100 → Editorial last update: 07.09.2024, 15:56:15  

100.

Diese Zahl, die auf unser Jubiläum mit unserer einhundertsten Online-Ausgabe hinweist - hat ja immerhin nur etwas mehr als 25 Jahre gebraucht... - deutet auch auf einige Veränderungen in unserer Editorial-Landschaft hin.

So hatten wir seit der Ausgabe 83, die im April 2020, also vor etwas mehr als vier Jahren und mitten im ersten Lockdown, erschien, im Editorial nur noch den Casus "Corona" thematisiert. Schließlich hat dieses Virus seither nicht nur die gesamte Menschheit in Atem gehalten - oder außer Atem gebracht - sondern auch die gesamte Musikszene fundamental umgegraben, so daß man schon jetzt mit Sicherheit sagen kann, daß es auch für die Metalszene nie wieder sein wird wie vor der Zeit dieser fundamentalen Gesundheitsbedrohung mit ihrem Herunterfahren des öffentlichen Lebens und ihren mannigfaltigen Sicherheitsmaßnahmen. Doch Corona ist mittlerweile ein Teil unser aller Leben geworden - Impfkampagnen sei Dank - so daß man über dieses Thema schon fast nicht mehr spricht. Auch in unseren letzten Editorials verkam das Virus mehr und mehr zur Fußnote.

Doch nach dem 24. Februar 2022 kam ein besonders überkeitserregendes und verabscheuungswürdiges Thema hinzu: der feige Überfall Putins auf die Ukraine, der die Weltordnung in ganz Europa durcheinandergewirbelt hat und ab Ausgabe 91, die im April 2022 erschien, zum zweiten beherrschenden Thema in unserem Editorial wurde und dafür sorgte, daß neben dem Wort "Corona" nun in der Überschrift der Begriff "Krieg" omnipräsent wurde.

Doch mit dieser Strategie soll in dieser unserer Ausgabe 100 gebrochen werden. Endgültig. Endlich. Warum aber kam es zu dieser Entscheidung? In Sachen Corona ist die Frage einfach zu beantworten, denn oben wurde schon ausgeführt, daß das Virus ein Thema ist, mit dem wir uns als Menschheit arrangieren müssen. Doch Putins Wahnsinn hat nicht nur Millionen von Menschen ins Unglück gestürzt, sondern tötet weiterhin jeden neuen Tag unzählige Menschen, und ein Ende ist nicht abzusehen. Dennoch ist die Zeit gekommen, auch andere Themen wieder in den Blick zu fassen. Nicht etwa, weil wir uns damit abgefunden hätten, daß dieser Krieg nicht enden will und wir den Blick abwenden. Im Gegenteil, Putins Unmenschlichkeit trifft mich weiterhin bis ins Mark. Und auch unser Ticker wird sich weiterhin der Hilfe für die Opfer in der Ukraine widmen, der Seitenhintergrund sich nonverbal für Frieden einsetzen.

Dieses Gefühl ergriff mich am ersten Tag dieses Krieges, und wie tief dies ging, merkte ich - wie so oft - an der Musik: Ich hatte einige Wochen zuvor begonnen, eine Intensiv-Hörexpedition mit den Alben der Melodic-Meister DARE begonnen, um für das ROCK HARD einen Beitrag in der "Seziertisch"-Rubrik zu schreiben. Doch ab diesem Morgen, als die unfaßbaren Nachrichten von dem begonnenen Angriff in den Nachrichten zu vernehmen waren, war es mir nicht mehr möglich, DARE zu hören. Wie sollte ich Musik hören, die so voller Schönheit und melodischer Wunder ist, wenn die Realität so häßlich ist? Wenn ein Subjekt so brutal gegen alles, was die Menschlichkeit gebietet, verstößt? Ja, ich konnte mich zwar glücklich schätzen, daß ich im Gegensatz zu so vielen Ukrainern nicht an Leib und Leben bedroht wurde, aber in meiner Seele war etwas zerbrochen. Mein Sinn für Gerechtigkeit hat sich seither nicht verändert, ich verurteile das russische Massaker an der Ukraine bis heute mit jeder Faser meiner Existenz. Aber dennoch kam es bei einem speziellen Anlaß zu einem neuen Impuls für mich: Auf der Rückfahrt von der Trauerfeier für meinen Ex-Chef Horst Franz durchflutete mich plötzlich ein "Das Leben muß weitergehen!"-Gefühl, was sicherlich durch das intensive Sinnieren über Horsts brutalen Leidensweg in den letzten Jahren und seinen zu frühen Tod ausgelöst wurde. Mein Blick fiel auf die Kiste mit DARE-CDs, die seit zwei Jahren unberührt in meinem Auto gestanden hatten, ich öffnete sie und legte das Debut der Band ein - und die Musik entfachte ihre Magie. Seither höre ich diese wundersame Musik wieder ohne Unterlaß, und sie hat nicht nur den Heilungsprozeß meiner Seele in Gang gebracht, sondern diente mir auch als Halt in einer schweren privaten Zeit. Das Leben ist kostbar, denn es kann so schnell vorbei sein. Jeder Tag ist kostbar, jeder Augenblick. Das dürfen wir nie vergessen, was auch immer passiert.

Denn letzten Endes ist diese Erkenntnis unumstößlich: Das Leben muß weitergehen, egal, welche furchtbaren Dinge um uns herum passieren. Statt sich von der Feigheit eines russischen Goliath, der den ukrainischen David zu zertreten versucht, überwältigen zu lassen, kann eine persönliche Antwort darauf lauten, daß man in seinem Leben das tut, was einem möglich ist, um diese menschliche Tragödie zu mindern - ganz egal wie klein es auch sein mag. Flüchtlinge aus der Ukraine unterstützen oder, wie oben schon angedeutet, für die Opfer in der Ukraine spenden, sind nur zwei der Möglichkeiten, die man hat. Und vor allem sollte man sich stets deutlich gegen die Hetztiraden des rechten Packs aussprechen, das in Europa immer stärker wird, weil zu viele dumme Ratten auf deren Parolen reinfallen. Parolen, bei denen diese gewissenlosen Rattenfänger die Not von Menschen aus aller Welt ausschlachten. Elend, das unterschiedlichen Ursprung hat. Ganz gleich, ob diese Menschen vor dem Bürgerkrieg in Syrien, dem Terrorregime im Iran, den reinstallierten Taliban in Afghanistan oder eben dem Krieg in der Ukraine flüchten und oftmals nur mit dem nackten Leben davongekommen sind. Und es ist völlig egal, ob diejenigen, die ihr Kreuzchen bei AfD & Co. machen oder deren Propaganda weiterverbreiten, selbst überzeugte Rechtsradikale sind oder sich herausreden, sie seien nur sogenannte "Protestwähler": Es ändert nichts daran, daß sie mithelfen, Neo-Nazis Macht zu verschaffen - und das ist das einzige, was diese Faschisten unserer Zeit mit ihrem Flötenspiel erreichen wollen. Und wenn uns Adolf Hitler und seine Schergen eine Sache bewiesen haben, dann daß sie nicht mehr zu bändigen sind, wenn sie erst mal in den entsprechenden Positionen sind. Unfaßbar, daß heute eine nennenswerte Prozentzahl der Bundesbürger zu blind oder verblendet ist, um die eindeutigen Schlüsse aus der historischen Blaupause zu ziehen. Einer hat aber sehr wohl davon gelernt: So hat ein Putin vom ersten Tag an darauf hingearbeitet, ganz Rußland unter seine Knute zu bringen, um seine Machtphantasien ausleben zu können.

Laßt Euch nicht unterjochen - ganz egal, ob es dies mittels der ach so einfachen Antworten des hiesigen braunen Gesocks oder der russischen Propaganda versucht wird, die über alle nur erdenklichen Kanäle auf uns eingewalzt werden!

Als moralische Unterstützung kann Euch die Musik dienen. Obwohl ich Zeit Lebens weiß, welche Macht der Musik innewohnt, ich mußte es erst von DARE wieder bewiesen bekommen. Welche Band oder welche Stilrichtung es für Euch ist, spielt keine Rolle, nutzt einfach diesen Energieschub, um nicht auf die dunkle Seite unseres heutigen, fraglos komplizierten Lebens gezogen zu werden. Denn: Musik kann uns Menschen aus aller Welt auf friedliche Weise zusammenbringen!

Oder um es mit DARE zu sagen:

"So hold me, never let me go,
And we'll ride this storm together
I'll find a way, and I'll find you
Where darkness ends."

Stark bleiben! Die Musik steht an Eurer Seite.

Stefan Glas

P.S.: Auch das aktuelle Cover ist ein Novum, denn es stellt ein KI-Experiment mit dem Bildgenerator auf DeviantArt dar, das ich aus einem spontanen Impuls heraus gewagt habe. Da mir das Resultat gefiel, habe ich es noch in Photoshop überarbeitet, bis es ein gelungenes Cover für unsere Ausgabe 100 abgab. Nein, ich rede mir daher nicht ein, daß ich nun plötzlich ein talentierter bildender Künstler bin - alle meine bedauerns- bis belachenswerten Versuche aus zig Jahren Kunstunterricht in der Schule haben dies unumstößlich belegt. Es ist mir bewußt, daß diese Graphik durch die Einsatz künstlicher Intelligenz entstanden ist, und ich werde auch garantiert kein Copyright dafür beanspruchen. So werde ich auch weiterhin rein KI-generierte journalistische Texte oder Musik als seelenlose Machwerke ablehnen, daran hat auch dieses Experiment mit einem optisch angenehmen Resultat nichts geändert. Ebenso wie ich meine Haltung zu KI sicherlich noch nicht final ausgelotet habe. Eines ist mir aber klar: Wir werden - wie oben mit Corona beschrieben - lernen müssen, damit zu leben, denn es gibt keine Chance, diesen Geist wieder in die Flasche zu bekommen. Allerdings besteht - ganz im Gegensatz zu Corona - eine Chance, daß KI uns helfen und Vorteile bringen kann, wenn wir verantwortungsbewußt damit umgehen.

 
 
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