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MySpace - the final frontier?

Für reichlich Verblüffung sorgte für mich in den letzten Wochen nicht nur die Tatsache, wie gut sich die Deutsche Fußballnationalmannschaft bei der WM schlägt, sondern welch' unglaublicher Hype um MySpace mittlerweile auch auf dieser Seite des Ozeans ausgebrochen ist. Seit Ende 2005/Anfang 2006 scheint sich jeder plötzlich berufen zu fühlen, dorthin zu gehen, wo schon längst jeder andere gewesen ist...

MySpace hat zweifelsohne eine erstaunliche Entwicklung genommen: Von der Grundidee her eigentlich eine Flirt- und Bagger-Community wurde aus MySpace wurde verdammt schnell eine Menge mehr. Jeder, wirklich jeder - von Privatpersonen, über Musiker, Bands bis hin zu Plattenfirmen - legte urplötzlich Wert darauf, in dieser Community vertreten zu sein. Das ging teilweise sogar soweit, daß manche Bands ihre eigene Homepage stillgelegt haben und die URL gleich auf ihre MySpace-Seite umgeleitet haben. Als dann noch Nachrichten - Legenden oder nicht - die Runde machten, daß es bei Amerikas Plattenfirmen A&Rs gäbe, die ausschließlich von MySpace-Seite zu MySpace-Seite hüpfen würden, um ihre neuen Signings zu finden oder daß gar eine Newcomer-Band von einer Plattenfirma einzig und allein abgelehnt worden sein soll, weil sie nicht auf MySpace vertreten waren - frei nach dem Motto "Superprofessionelle eigene Homepage? Geschenkt! Eine poplige MySpace-Seite muß es sein!" - griff das Fieber langsam aber sicher auch auf Europa über. Manchmal könnte man fast meinen, eine MySpace-Seite würde einer europäischen Band eher helfen, Amerika zu erobern, als endlose Clubtourneen. Verkehrte Welt, äh verkehrter Cyberspace...

Sicher bringt MySpace den Vorteil mit sich, daß die gesamte "Infrastruktur" kostenlos im Package mitgeliefert wird: Ein Player, den man nur noch mit den eigenen Songs zu füttern braucht, ist ebenso vorhanden, wie die Möglichkeit, Videos zu präsentieren, die aufgrund der Datenmengen auf der eigenen Homepage eine Menge kostenspieligen Traffic verursachen würden. Doch dieses Feature wird derzeit eher selten genutzt, stattdessen hat sich für diese Belange mittlerweile ein kräftiger Run in Richtung YouTube herauskristallisiert. Daß man sich bei MySpace darüber hinaus noch nicht mal mit den rudimentärsten Grundlagen des Webdesigns zu beschäftigen braucht, oder jemand anheuern muß, der diesen Job übernimmt und dafür ein gewisses Salär verlangen wird, kommt noch hinzu. Und das alles kostet nur ein Anmeldung.

So weit, so gut. Die Nachteile wird man indes auch umgehend feststellen, wenn man sich mal ein paar MySpace-Seiten angeschaut hat: Sie sehen alle gleich (besch...) aus. Von Individualität keine Spur. Eigene Visionen, mit deren Hilfe man sich von anderen Bands unterscheiden möchte, die gewissermaßen ein eigener digitaler Fingerabdruck sind, was vielen Bandsites durchaus gelingt, ebenfalls Fehlanzeige. Und daß man zur Kontaktaufnahme mit MySpace-Mitgliedern das krude MySpace-Messageformular benutzen muß, kommt erschwerend zu, da standardmäßig das Publizieren einer E-Mail-Adresse auf einer MySpace-Präsenz nicht vorgesehen ist, so daß man dies nicht auf den gewohnten Weg mittels des heimischen Mailers tun kann.

Nicht gerade wertvoll sind auch meist die Botschaften, die andere MySpaceler auf den Seiten ihrer Communitykumpel hinterlassen: "Thanks For The Add" ist da im Großteil der Fälle zu lesen. Das hat keineswegs etwas mit Anzeigenschaltungen zu tun, sondern bedeutet im MySpace-Fachchinesisch, daß das Communitymitglied A das Communitymitglied B in seine Buddyliste, die Liste seiner virtuellen Freunde, aufgenommen hat - und man sich nun gegenseitig Dankesbotschaften für "The Add" zuraunen kann oder sich lieber gleich mit aufwendig gestalteten und mindestens genauso nervigen, animierten Bildchen beglücken darf, deren Botschaft glasklar ist: "Thanks For The Add"...

Besonders zweifelhaft ist diese "Add"-Dankesflut angesichts jener Erfahrungen zu sehen, die einer meiner Bekannten nach seinem Beitritt zur spacigen Community gemacht hat: Anfangs wählte er genau aus, wem er die "add"-Ehre zuteil werden ließ, doch binnen weniger Tage war die Flut der "Add"-Anfragen mannshoch, so daß er kapitulierte und einfach alle Bewerber automatisch "add"en ließ. "Thanks For The Auto-Add"...

Anyway - der MySpace-Boom ist ungebrochen, hat sich verselbständigt und wird wohl auch nicht so schnell gebrochen werden - was man auch nicht als sonderlich tragisch ansehen sollte, denn den Untergang der westlichen Zivilisation wird MySpace bestimmt nicht herbeiführen. Ob es die westliche Zivilisation im allgemeinen oder die Metalszene im speziellen indes einen ernsthaften Schritt weiterbringen wird, darf jedoch ebenso bezweifelt werden. Aber immerhin bringt MySpace einen Vorteil für neu aus der Taufe gehobene Projekte, die mittels MySpace sehr schnell eine Internetpräsenz aus dem Boden stampfen können, während eine eigene Internetsite doch immer ein paar planerische Überlegungen und gewisse Fertigkeiten bei der Umsetzung erfordert - selbst wenn man die Homepage mit der coolen HTML-Exportfunktion von Microsoft Word erstellt...

Übrigens: Eine UNDERGROUND EMPIRE-MySpace-Seite ist derzeit nicht geplant. Wir wollen die Eroberung des metallischen Weltraums mit unserem selbstgebauten Raumschiff Enterprise betreiben. Außerdem habe ich Angst vor den vielen "Add"s und "Add"innen, die im MySpace lauern.

Echt abgespaced!

Stefan Glas

P.S.: Für das aktuelle Coverartwork konnten wir Jan "Örkki" Yrlund gewinnen, der eine wahrlich schillernde Person in der Szene ist: So ist der Finne schon seit Ende der Achtziger als Musiker aktiv - Bandnamen wie PRESTIGE, LACRIMOSA, ANCIENT RITES, IMPERIA oder ganz aktuell SATYRIAN sollten als Visitenkarte ausreichen. Jedoch ist Jan auch ein talentierter Künstler, der neben seinen eigenen Projekten schon unzählige Bands wie EVERON, LET ME DREAM, KORPIKLAANI, BLINDSTARE, EVEMASTER oder TÝR mit Covern versorgt hat. Auf seiner "Darkgrove"-Seite könnt Ihr Euch ausführlich über Jans Schaffen informieren.

 
 
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