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Die Welt ist ein Klingelton!

Sie haben geläutet, Mylord? Diese Frage muß man sich immer häufiger stellen, wenn man derzeit in einen der Werbeblöcke bei den privaten Fernsehstationen reinschlittert. Und diese Werbeblöcke sind schon längst so monströs und omnipräsent, daß es unmöglich ist, ihnen zu entgehen - und ich mich folglich nur dem Aufruf von Dr. M.O. Bruker anschließen kann: "Kauft keine Produkte, für die Werbung gemacht wird!"

Doch zurück zu unserem Thema, denn inmitten dieser zumeist dünnsinnigen Kurzfilmchen, die die Konsumlust anregen sollen, tauchen immer häufiger Spots auf, die auf hippe Klingeltöne verweisen, die man sich für's Handy herunterladen kann. Doch damit nicht genug, denn es gibt bei den verschiedensten Sendern sogar Musiksendungen, deren einziger Zweck zu sein scheint, quietschendes Futter für Mobiltelephone zu verhökern: Während ein Videoclip läuft, werden Laufbänder - die den halben Bildschirm bedecken - eingeblendet, die erklären, wie man sein Taschentelephon dazu bringen kann, beim nächsten Anruf "Hänschen klein" oder eben den gerade gezeigten Song trällern zu lassen.

Daß diese Angebote genutzt werden, beweist die Tatsache, daß die meisten Majorplattenfirmen schon seit einigen Monaten mehr Klingeltöne als CD-Singles verkaufen. Zwar sollte man in einer Zeit, in der weniger als 250 verkaufte Einheiten ausreichen, um in die Top 100 der Media Control-Charts zu rutschen, eine solche Meldung nicht überbewerten, aber zum Nachdenken sollte sie schon anregen.

Natürlich spielt dabei der weitaus günstigere Preis für einen Klingelton im Vergleich zu einer CD-Single eine wichtige Rolle - womit wir wieder bei der nicht zu leugnenden Tatsache wären, die die Musikindustrie partout nicht akzeptieren will: CDs jeglicher Art sind einfach zu teuer! Aber dennoch kann man an dieser Stelle nicht übersehen, wozu Musik mittlerweile verkommen ist: zu einem - selbstverständlich! - polyphonen Fiepen, dessen einzige Funktion es ist, darauf hinzuweisen, daß irgendjemand mitteilungsbedürftig ist.

Bedeutet das, daß die Generation, die Musik jeglicher Stilrichtung als Kulturgut und einen unersetzlichen Bestandteil des Lebens ansieht, endgültig vom Aussterben bedroht ist? Reicht es in Zukunft, wenn ein "Song" eine Länge von ein paar Sekunden hat, weil ein drei- und gar dreizehnminütiger Klingelton irgendwie unsinnig erscheint? Werden LED ZEPPELIN nie wieder die "Stairway To Heaven" emporsteigen können, weil das eingehende Gespräch zuvor schon angenommen wurde? Werden die BEATLES nie wieder etwas von "Yesterday" erzählen dürfen, weil zu diesem Zeitpunkt der Handybesitzer bereits mit jemand am anderen Ende der unsichtbaren Leitung tratscht?

Dennoch scheinen nach dem altbekannten Prinzip "Alles, was Geld bringt, ist gut" manche Oberen der Musikindustrie zu glauben, daß man sich auf diese Weise aus der Krise befreien kann. Schließlich hat sich Baron Münchhausen auch am eigenen Schopf aus dem Sumpf gezogen...

Doch Zynismus und Pessimismus beseite, denn einen Hoffnungsstreif am Horizont konnte man im Jahr 2004 beobachten: Im JULI ging der SILBERMOND auf! Zwei deutsche Nachwuchsbands, die sich handgemachter Musik verschrieben haben und gute Songs schreiben können, schafften es, sowohl Teenies als auch "reifere" Hörer in Begeisterung zu versetzen. Natürlich gab es die zugehörigen Hitsingles ›Perfekte Welle‹ und ›Symphonie‹ umgehend auch als Klingelton, doch beide Bands haben gewiß genug Substanz, um immer noch gute neue Musik zu machen, wenn die Handys und Vöglein schon längst ein anderes Lied zwitschern...

Hoppla, mein Handy hat gerade angefangen, Shakespeare-Verse zu rezitieren; sorry, ich muß mal rangehen. Bis zum nächsten Mal!

Bei mir piept's...

Stefan Glas

P.S.: Das covertechnische Frösteln in der aktuellen Ausgabe lehrt uns das Graphikerduo Martin Saavedra und Victor Cabo, die unter dem Namen SPINA agieren. Die beiden haben bereits für Bands wie REQUIEM AETERNAM, DISTORTED MIND, DIVINITY oder SANATORIUM gearbeitet und stehen gerne Bands zur Verfügung, die noch ohne Coverartwork sind. Ein SPINA-Portfolio findet Ihr auf der entsprechenden Homepage.

 
 
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