Mit »Walk The Sky« kredenzten ALTER BRIDGE vor kurzer Zeit ihren bereits sechsten Longplayer. Der wurde von einer von Tonträger zu Tonträger stetig angewachsenen Zahl an Fans ohnehin bereits sehnsüchtig erwartet und hat wohl auch keinen Freund dieser, seit 15 Jahren bestehenden Truppe enttäuscht. Das Kollektiv rund um Guitar-Wiz Mark Tremonti und Samtstimme Myles Kennedy hat sich zwar im Vergleich zum Vorgänger wieder ein wenig mehr an den fetzigen Frühwerken orientiert, in Summe ist aber dennoch (nahezu) alles beim alten geblieben.
Klar doch, die Band wäre auch verdammt unklug, würde sie plötzlich von ihrem eingeschlagenen, überaus erfolgreichen Weg abkehren. Schließlich hat dieser den vier Musikern diverse Auszeichnungen ebenso eingebracht, wie eine unfaßbare Anzahl an verkauften Tonträgern. Da der Titel der neuesten ALTER BRIDGE-Veröffentlichung aber doch ein wenig abgehoben wirkt, mußte Frontmann Myles zunächst einmal dazu Stellung beziehen, als wir ihn zum vereinbarten Telefoninterview via Konferenzschaltung erreichen.
Myles, »Walk The Sky« läßt sich in vielerlei Hinsicht interpretieren. Unter anderem auch so, daß Ihr als Band inzwischen dermaßen groß geworden seid, daß Euch nicht einmal mehr der Himmel limitieren kann.
Oh. Das haben wir damit auf gar keinen Fall gemeint. Im Gegenteil, wir sind unseren Fans auf ewig dankbar, daß sie es uns ermöglicht haben, Schritt für Schritt als Band wachsen zu können. Ohne unsere Fans wären wir definitiv nicht da, wo wir jetzt stehen. Das wissen wir sehr wohl zu schätzen! Diese, dann doch sehr überhebliche Auslegung hatten wir noch nicht einmal ansatzweise im Gedanken. Wir sehen den Titel eher aus spiritueller Sicht. Eine andere, bereits an uns herangetragene Interpretation war, daß man sich von unseren Songs tragen lassen kann. Daß man gemeinsam mit ALTER BRIDGE in andere Sphären abheben und sich dort verlieren kann.
Einverstanden, das klingt irgendwie netter. Deine Erklärung nehme ich Dir ab, denn sie wirkt in der Tat nicht wie eine Rechtfertigung, sondern läßt erkennen, wie viel Dir tatsächlich an Euren Fans liegt. Hat damit auch der inzwischen fast schon institutionalisierte Veröffentlichungsmodus zu tun? Schließlich habt Ihr Euch bei exakt drei Jahren zwischen den Studioalben eingependelt.
Nicht direkt. Klar ist es uns wichtig, daß unsere Fans in regelmäßigen Abständen neue Songs zu hören bekommen, und von daher würde dieser Rhythmus auch durchaus Sinn machen. Der Grund für die drei Jahre zwischen den Alben selbst ist jedoch anders zu erklären.
Und zwar?
Zu Beginn unserer Karriere waren wir uns weder sicher, wie lange wir als Band zusammen sein würden, noch wußten wir, was da so alles auf uns zukommen würde. Davon, wie erfolgreich ALTER BRIDGE einmal werden würden, haben wir nicht einmal zu träumen gewagt. Wir haben einfach alles auf uns zukommen lassen und uns nach der überaus erfolgreichen Tournee nach unserem Debut »One Day Remains« an die Aufnahmen zu »Blackbird« gemacht, das schließlich drei Jahre nach dem Erstling veröffentlicht wurde. Ähnlich war es auch als wir »III« auflegten. Es waren zwar schon damals ganz andere Voraussetzungen, denn es lag eine längere Tournee dazwischen, der Abstand ist aber gleichgeblieben und hat sich im Prinzip erneut von selbst ergeben. Irgendwie ging es dann bis heute in dieser Art weiter. Inzwischen ist es allerdings bei weiten nicht mehr so einfach wie in den Anfangstagen, ein ähnliches Arbeitspensum beizubehalten, da wir wesentlich öfter unterwegs sind. Dafür fällt es uns um so leichter, ins Studio zu gehen und unsere Ideen aufzunehmen. Das kommt wohl von der Erfahrung und Routine.
Zeitmanagement dürfte bei Euch - zumindest bei Mark und Dir, Eure Kollegen Scott Philips (d) und Brian Marshall (b) scheinen diesbezüglich weniger verhaltensauffällig zu sein - generell ein wesentlicher Faktor im Bandleben sein, oder?
Und wie! Manchmal wundern wir uns selbst, wie wir das alles unter einen Hut bringen können, ohne dabei über die Belastungsgrenzen hinausgehen zu müssen. Doch anders als mit einem wirklich perfekt funktionierenden Zeitmanagement wäre es einfach nicht möglich, alle unsere Projekte streßfrei zu bewältigen. Ich möchte jedoch hinzufügen, daß sich sowohl Mark als auch ich in diesem Punkt voll und ganz auf unser Management verlassen können. Dort wird wirklich gute Arbeit geleistet, und der Einsatz macht sich für alle bezahlt!
Da drängt sich aber sofort die Frage auf, ob es Euch denn möglich ist zu differenzieren, wofür welche Songidee verwendet werden soll?
In den meisten Fällen schon, da sich unsere musikalischen Spielwiesen doch recht deutlich voneinander unterscheiden. Zwar ist es durchaus schon vorgekommen, daß ich einige Fragmente, die ich eigentlich für ein Soloalbum geplant hatte, bei ALTER BRIDGE verwendet habe, der Großteil des Materials ist aber doch so weit unterschiedlich, daß es zu keinem Durcheinander kommt.
Wann entstehen denn neue ALTER BRIDGE-Songs eigentlich? So wirklich viel Zeit kann dafür doch gar nicht übrig zur Verfügung stehen...
Auch das ist ein Thema, mit dem ich heutzutage überhaupt kein Problem mehr habe. Da es zumeist Riffs sind, die den Startschuß für einen Track geben, haben Mark und ich es uns angewöhnt, diese sofort aufzunehmen. Da wir inzwischen auf unseren Tourneen entsprechendes Equipment mithaben, ist es mittlerweile völlig egal, wann oder wo auch immer uns etwas einfällt. Ich muß gestehen, mir diese Arbeitsweise noch nicht allzu lange angeeignet zu haben. Früher war es für mich zum Beispiel komplett unvorstellbar, mich nach einem Gig im Bus, oder in einem Hotelzimmer, damit zu beschäftigen. Inzwischen würde ich sagen, es ist zum Alltag geworden. [lacht]
Die Ideen kommen nach wie vor von Mark und Dir?
Ja. Daran hat sich nichts geändert. Wir beiden sind für die Musik von ALTER BRIDGE zuständig, und zwar in ihrem gesamten Umfang. Wir führen nicht nur die musikalischen Geschicke, wir sind es schlußendlich auch, die für die ersten Demo-Aufnahmen zuständig sind, die dann intern weiterverteilt werden. Das soll jedoch nicht heißen, daß Scott und Brian nur "hired guns" wären. Ganz und gar nicht! Die beiden sind nicht nur begnadete Musiker, sondern essentielle Bestandteile unserer Band, die es in einer anderen Formation vielleicht gar nicht mehr geben würde. Bei uns herrscht definitiv Demokratie. Sollte jemand mit irgendetwas gar nicht einverstanden sein, wird so lange diskutiert, bis wir zu einer für alle vier passenden Entscheidung gekommen sind. Ein Glück für unsere Zeitpläne, daß solche Situationen nur ganz, ganz selten vorkommen. [lacht]
Das heißt, zumindest bei den Aufnahmen, seid Ihr auf jeden Fall vollständig anwesend?
Nein, nicht immer. So etwas läßt sich terminlich nicht über den gesamten Aufnahmeprozeß, der ja doch zumindest ein paar Wochen am Stück dauert, vereinbaren. Auf jeden Fall aber treffen wir uns vor einer Tournee. Dafür mieten wir meistens mehrere Tage vor dem ersten Gig einen Proberaum an und treffen uns vor Ort. Dabei wird nicht nur neues Material einstudiert und getestet, auch die Setlist besprechen wir in diesen Tagen genau, schließlich hat jeder andere Vorstellungen und Wünsche. Ich hab' mal ein Zitat gehört, das sinngemäß lautet, "solange sich eine Band nur wegen der Setlist streitet, ist sie gesund". Damit können wir uns voll und ganz identifizieren!
Das können sich Eure Fans auch mit Eurer Musik, die ich nach all den langen Jahren nur schwer einem Genre zuordnen kann. Noch weniger könnte ich einen typischen ALTER BRIDGE-Fan beschreiben. Du?
Das mit der Musik ist für mich persönlich gar nicht so wichtig, ich verstehe es aber, daß man als Schreiber den Lesern stilistische Anhaltspunkte geben möchte. Die Sache mit den Fans sehe ich ehrlich gesagt ganz genauso. Zu unseren Gigs kommen inzwischen mehrere Generationen an Rockmusikliebhabern, mitunter tatsächlich drei. Zwar werden uns von eingefleischten Freaks sogar Tattoos in Form unseres Bandlogos oder ganzen Teilen der jeweiligen Covers gezeigt, dennoch scheinen wir "massenkompatibel" zu sein. Nicht zuletzt deshalb ist auch unsere Fanbase altersmäßig sehr breit aufgestellt. Vom Opa im Anzug, bis hin zum Metaller in Kutte ist bei unseren Gigs alles vertreten. Nicht vergessen werden darf auch der im Vergleich zu anderen Formationen verhältnismäßig hohe Frauenanteil in unserem Publikum. Zugegeben, darauf sind wir schon sehr stolz!
Verständlich, womöglich aber "nur" ein weiterer Grund für so manchen "Neider", sich von Euch abzuwenden. Egal, hierzulande ist ALTER BRIDGE längst zu einer überaus zugkräftigen Nummer geworden, die selbst bei den größten Festivals jede Menge Fans in den "Pit" zieht. Wie sieht es denn generell hinsichtlich Eures Bekanntheits- und Beliebtheitsgrades aus?
Europa ist auf jeden Fall unsere Hochburg! Zwar läuft es auch in den Staaten ganz gut, und auch in Asien haben wir uns schon einen guten Namen machen können, dermaßen groß wie etwa im UK oder in Deutschland, sind ALTER BRIDGE aber nirgendwo anders auf der Welt. Auch das wissen wir zu schätzen und kommen deshalb immer wieder gerne zu Euch auf Tournee.
Das merkt man durchaus. Nicht dagegen, ob Ihr Festivalbühnen bevorzugt oder doch lieber, kleinere, schummrige Clubs?
Ganz ehrlich, und ich will da nur für mich sprechen: Ich mag Clubgigs lieber! Je kleiner der Laden, desto persönlicher und ansprechender ist die Stimmung. Das ist vor allem bei meinen Solotourneen der Fall. Das soll jetzt aber bitte nicht bedeuten, wir würden nicht auch gerne Festivalshows absolvieren. Wenn Du auf die Bühne rauskommst, ins Auditorium blickst und bemerkst, was abgeht, ist das Gänsehaut pur! Und wenn man darüber nachdenkt, wieviel es den Menschen da draußen wert gewesen sein muß, eine Karte dafür erstanden zu haben, kann man einfach nur den Hut ziehen und dankbar sein.
Photo: Javier Bragado