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  UE-Home → History → Online Empire 50 → Interview-Übersicht → GORKY PARK-Interview last update: 27.03.2024, 15:23:21  

GORKY PARK-Logo

Dank der Online-Aufbereitung meines alten METAL HAMMER-Interviews vor einigen Wochen kamen wir mit Mike Breeze in Kontakt, der das Interview ins Russische übersetzte, was wir gerne für unser "Extra-Info" nutzen. Mike, der selbst als Musiker bei MIRROR und SOLOWSHOW tätig ist, fungiert für GORKY PARK unter anderem als MySpace-Webmaster und hatte einige Zeit zuvor für eine Story in einer russischen Zeitung ein Interview mit GORKY PARK-Gründer und -Gitarrist Alexei Belov ein Interview geführt.
Darin zeigt er einen interessanten Ansatz auf, um sich dem Material von GORKY PARK zu nähern. Als großer Fan der Band hat seine Perspektive verständlicherweise eine gute Portion rosarote Brille abbekommen, aber nichtsdestotrotz hat Mike hier einen höchst lesenswerten Artikel geschneidert, so daß wir uns freuen, daß er uns die übersetzte Version für eine Veröffentlichung zur Verfügung gestellt hat.
Wir übergeben Mike das Wort!


Stefan Glas

Es ist bekannt, daß GORKY PARK bis heute die einzige russische (und zuerst - sovjetische) Rock-Band ist, die weltweite Erfolge feiern konnte, und zwar nicht nur als eine Modeerscheinung, denn in dem Fall hätte man sie schon längst vergessen und die alten Hits wie unter anderem ›Bang‹ würden nicht regelmäßig auf Hit-Compilations wie »Die Größten Hits der 90er« wiederveröffentlicht werden.

Wer ›Moscow Calling‹, ›Stranger‹, ›Welcome To The Gorky Park‹, ›Tell My Why‹, ›Strike‹ oder ›Peace In Our Time‹ nicht kennt, der hat wohl Ende 80er und Anfang 90er auf dem Mond gelebt, oder noch ferner. Nicht einfacher ist es, einen Menschen zu finden, der noch nie THE WHOs ›My Generation‹ in GORKY PARKs ungewöhnlicher Fassung (inklusive Prokofievs Filmmusik zu "Alexander Nevskij") gehört hat. Anfang des neuen Millenniums mußte die Band ein paar harte Jahre durchstehen, danach belebten die beiden Gitarristen Alexei Belov und Jan Janenkov GORKY PARK wieder. Zu besonderen Anlässen wie Muz-TV 2008 (wo die Band den "Life Achievement Award" bekam) oder Eurovision 2009 versammelten die Musiker sich sogar in der "goldenen" Besetzung mit Sänger/Bassist Alexander "Marshall" Minkov und Drummer Sasha Lvov.

GORKY PARK-Bandphoto 1989: Jan Janenkov, Alexander ''Big Sasha Marshall'' Minkov, Sasha Lvov, Nikolai Noskov, Alexei Belov

2012 feiern Gorky Park ihr 25-jähriges Jubiläum, und man kann auf neue Gigs der "goldenen" Besetzung hoffen sowie auf das langerwartete neue Material. Und bis dahin - anstatt zum millionsten Mal »Moscow Calling« zu preisen - würde endlich eine tiefgründigere Analyse des Schaffens von GORKY PARK nicht schaden. Im Bezug auf die Vielseitigkeit und Vielschichtigkeit der Werke sind GORKY PARK durchaus mit solchen Bands wie QUEEN, X JAPAN oder THE BEATLES zu vergleichen. In diesem Artikel geht es um GORKY PARK-Songs, die keine großen Hits wurden, und dennoch (oder vielleicht gerade deswegen!) ernste Aufmerksamkeit verdienen.

1. ›Sometimes At Night‹ (vom Album »Gorky Park«, 1989)

Eine tiefgründige Ballade, ungewöhnlich reif für ein Debutalbum. Durch die musikalischen "Farben" entstehen augenblicklich Bilder einer Nachtmetropole vor dem inneren Auge des Hörers. Einige Jahre später wurde das sozial-kritische und eskapistische Thema im Song ›Stop The World‹ fortgesetzt, während hier persönliche Reflektion und Blicke in die eigene Psyche überwiegen.

Wie konnten Sie so eine ernsthafte Komposition in so einem relativ jungen Alter schreiben? Und welche Rolle spielte Andrey Grigorjev, der den Text für dieses Stück schrieb (genau wie für die optimistische Hit-Ballade ›Try To Find Me‹)?

Die ursprüngliche Melodie von ›Sometimes At Night‹ kam vom Nikolai Noskov, unserem damaligen Leadsänger, und ich entwickelte sie in die Richtung, in der ich damals den Kern der Soundpalette von GORKY PARK hören wollte. Seltsamerweise erregte gerade diese Komposition damals das größte Interesse in den USA, als Teil unseres ersten Demotapes. Es war eine gemeinsame Kreation, und ich denke, daß der Beitrag von Andrej Grigorjev (R.I.P.) als Texter hier entscheidend war. Andrey war sein Leben lang ein Wanderer: Er emigrierte aus der Sovjetunion schon Anfang der 80er Jahre. Wir lernten uns 1983 kennen, als er einen Gig der Band MOSKVA besuchte, in der ich damals zusammen mit Nikolaj Noskov arbeitete. Wir hatten damals gerade das Album »UFO« veröffentlicht, und Andrej nahm es mit nach Amerika. Es gab eine Welle hervorragender Kritiken seitens diverser Musiker. Wir freundeten uns mit Andrej an, und er schrieb beeindruckende Lyrics für ›Sometimes At Night‹ und ›Try To Find Me‹. Nachdem das GORKY PARK-Debutalbum veröffentlicht wurde, entwickelte sich ›Try To Find Me‹ (die dritte Singleauskopplung) zu jenem Song mit dem meisten Feedback. Es war auch eine gemeinsame Kreation, aber die ursprüngliche Melodie entstand in meinem Kopf lange vor GORKY PARK, sie lag irgendwo im Hinterkopf rum und hat dank Andrejs Lyrics ihren echten Sinn bekommen, denn es ist nicht möglich, solche Lyrics zu schreiben, ohne das erlebt zu haben, was Andrej erlebt hatte. Leider konnte er selber mit den Schwierigkeiten nicht klarkommen, die er beschrieben hatte, insbesondere in ›Try To Find Me‹. Dennoch half dieser Song vielen Menschen. Wir kriegten Briefe, in denen stand: "Danke für diesen Song, er half mir, keinen Selbstmord zu begehen." Es gab eine Menge solcher Briefe. Wir wohnten damals in New Jersey und die Mädchen, die für unseres Management arbeiteten, lasen die ganzen Säcke mit der Fanpost: Wir hätten es nie im Leben geschafft, alles selber durchzulesen. Sie lasen es und gaben uns die besonders Gelungenen. ›Stop The World‹ folgte viel später und spiegelte meine persönliche Erfahrung im Bezug auf das Leben wider, das ich ganz konkret in Los Angeles gesehen hatte. ›California Promises‹ war ein ähnlicher Song, aber ›Stop The World‹ ist wahrscheinlich ein wenig tiefgründiger in dieser Hinsicht.

2. ›Two Candles‹ (vom Album »Moscow Calling«, 1992)

Die akustische Romanze ›Two Candles‹ kann man mit den magischsten Chef d'œuvres von LED ZEPPELIN vergleichen, denn das Lied wurde nie zum Hit, als eine Single-A-Seite veröffentlicht, oder als Videoclip inszeniert, wird aber doch von vielen Musikliebhabern weltweit geschätzt. Die Musik von ›Two Candles‹ wurde von Leadgitarrist Alexei Belov und Sänger/Bassist Alexander "Marshall" Minkov geschrieben, während der zweite Gitarrist Jan Janenkov das instrumentale Intro komponierte und spielte.

Könnten Sie uns bitte kundtun, wie dieses Intro entstand, und ob der Song selbst danach oder davor verfaßt wurde? Außerdem, wieviele Takes wurden im Aufnahmestudio gebraucht?

Das ›Two Candles‹-Intro war eine Art Improvisation von Jan. Es entstand nachdem der Song schon fertig aufgenommen war. Wir hatten noch freie Studiozeit, und alle guten Ideen wurden dankbar akzeptiert. Ich möchte Sie daran erinnern, daß man damals kaum digital aufgenommen wurde. Alle unsere Alben sind auf Tape aufgenommen, keine "Chemie". Es konnten nicht zu viele Takes gemacht werden. Ich schätze, es dürften etwa zwei bis drei gewesen sein.

3. ›Taiga‹ (vom Album »Stare«, 1996)

Im Gegensatz zum nicht weniger starken Sympho-Rock-Monster ›Налёт‹ ("Attack") von der offiziellen GORKY PARK-DVD (2001), wurde das symphonische Gedicht ›Taiga‹ nicht von den Bandmitgliedern selbst, sondern von einem Orchester ohne Rockinstrumente performt, was an sich schon selten genug für ein Rockalbum ist. Die Orchestrierung wurde vom neulich verstorbenen Keyboarder Nikolai Kuzminyh geschrieben.

Wie kamen Sie auf eine Idee, so ein Werk zu erschaffen, komplett von einem Orchester eingespielt? Und warum ausgerechnet der Titel ›Taiga‹?

Zuerst hatte ich ›Don't Make Me Stay‹ geschrieben - den Song, der auf dem Album nach ›Taiga‹ kommt. Ich saß in dem Zimmerlein, wo ich oftmals Musik geschrieben hatte, und schrieb ein kleines Intermezzo auf Synthesizers mit Orchestersounds. Es klang so ähnlich wie das, was man nun von einem echten Orchester gespielt auf dem Album hören kann. Ich saß also da und klimperte einfach rum. Als die Jungs - ich glaube, das war Alexander "Marshall" - es hörten, meinten sie, wir sollten es mit einem echten Orchester aufnehmen! Und der Titel ›Taiga‹ enstand quasi von alleine. Irgendwie erinnerte es an Taiga. Wir hatten sie schon oft gesehen, überflogen, durchfahren von Stadt zu Stadt. Anscheinend gibt es Empfindungen, die jeder kennt, wer Taiga jemals gesehen hat. Niemand zweifelt, daß es tatsächlich Taiga ist, die auf der Aufnahme erklingt.

4. ›Liar‹ (vom Album »Protivofazza«, 1998)

Einer der interessantesten, progressivsten und gothic-artigsten Videoclips von GORKY PARK wurde zu diesem Song gedreht. ›Liar‹ ist einer der härteren Songs von GORKY PARK, dennoch nicht so Speed Metal-lastig wie das legendäre ›Volga Boatman‹ vom zweiten Album »Moscow Calling«. In ›Liar‹ werden illustre Metaphern verwendet.

Haben Sie sofort auf Englisch geschrieben, oder mußten Sie die Amerikaner befragen, was die Übersetzung bestimmter Ausdrücke betrifft? Die Lyrics sind ohne Gastautoren entstanden. Und wie entstand das Drehbuch für so einen ungewöhnlichen Videoclip?

Damals war ich schon seit langer Zeit imstande, die Lyrics selber zu schreiben und hatte diesbezüglich keine Unterstützung geholt, denn ich spürte, daß die Lyrics entweder als Poesie funktionieren oder eben nicht. Ich hatte eine unzählige Ideen, von denen viele immer noch irgendwo geblieben sind - im PC oder auf Papier. Meine erste ernste Erfahrung, was die Verfassung von Lyrics betrifft, war das Album »Moscow Calling«, und als die Zeit von »Stare« und »Protivofazza« kam (die wir übrigens als ein Doppelalbum konzipiert hatten, was die Plattenfirma jedoch nicht genehmigte), wußte ich schon ganz genau, was ich kann und was nicht, und schrieb die Texte sofort auf Englisch. Damals träumten wir sogar nachts in Englisch und redeten kaum Russisch, außer miteinander, aber auch das nicht immer, beispielsweise wenn wir unter Amerikanern waren und es nicht höflich war, eine Sprache zu sprechen, die sie nicht verstanden. Was den Videoclip betrifft, wir hatten uns zu 100 Prozent auf den Regisseur Oleg Gusev verlassen. Er entwarf das Drehbuch. Das Resultat überraschte sogar uns selber. In dem Song ist eine bestimmte Botschaft versteckt, die wir übermitteln wollten. Das Video übermittelte dies, aber auf seine Art, nicht so wie wir es erwartet hätten.

5. ›Liquid Dream‹ (vom Album »Protivofazza«, 1998)

Ein Instrumentalstück mit melodischen Wurzeln in einem armenischen Volkslied. Unter anderem, wird Duduk gespielt - ein armenisches Volksinstrument, die auch als "Armenische Flöte" bezeichnet wird.

Auf Englisch gibt es zwei Bedeutungen für das Wort "dream". Ist es für Sie eher ein Traum, den man nachts beim Schlafen träumt, oder ein bewußter Traum? Und was inspirierte Sie dazu, ausgerechnet armenische Musik zu integrieren?

Ich denke, man kann es am ehesten als einen "transparenten Nachttraum" übersetzen. "Liquid" bedeutet "transparent", "fließend". Aber nicht in dem Sinne, daß jemand es nachts nicht zum Klo geschafft hat und einen "feuchten Traum" hatte. Nein, hier ist "liquid" im Sinne "fließender", "transparenter" Nachttraum gemeint. Duduk hatten wir benutzt, weil wir dieses Instrument liebten. Seinerzeit hatte es auch Peter Gabriel (ex-GENESIS) benutzt - einer unserer damaligen Lieblingsmusikern. Also wollten wir auch irgendein Werk erschaffen, wo dieses Instrument erklingen würde. Jedoch kann nur eine begrenzte Anzahl von Menschen Duduk spielen. Hauptsächlich sind es Armenier. Ein Armenier kam zu uns ins Studio, und wir baten ihn, einfach zu improvisieren. Wir gaben ihm die richtige Tonart, und er fing an. Wie es sich später herausstellte, variierte er Themen aus diversen armenischen Folksongs. Jeder Armenier erkennt diese Melodien sofort. Als er fertig war, hatten wir nichts anderes auf Tape, keine zusätzliche Instrumente mit Harmonien. Nun beschlossen wir dodekafonische Elemente hinzuzufügen, im Stil von Alfred Schnittke. So entstand dieser fließender Nachttraum.

GORKY PARK live 2011: Jan Janenkov, Alexei Belov

Auf dieser, bei weitem nicht einschläfernder Note, beendeten Alexei und ich das Gespräch. Vielleicht wird dieser Artikel Menschen neugierig machen, die bis jetzt nichts vom GORKY PARKs Schaffen kannten außer ›Bang‹, ›Moscow Calling‹ und ›Stare‹...

http://www.gorkyparkmusic.ru/

Vorbereitung, Interview & Bearbeitung:
Mike Breeze

Photos: Didi Zill [Photo 1], Jenya McSinger Zajtcev [Photo 2]

GORKY PARK im Überblick:
GORKY PARK – Moscow Calling (Rundling-Review von 1994 aus Underground Empire 7)
GORKY PARK – Underground Empire 4-Special (aus dem Jahr 1991)
GORKY PARK – Metal Hammer 08/93-Interview (aus dem Jahr 1993)
GORKY PARK – Online Empire 50-Interview (aus dem Jahr 2012)
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