RUSH
Stuttgart, Hanns-Martin-Schleyer-Halle
19.09.2004
Frankfurt, Festhalle
24.09.2004
Ganze 12 Jahre lange Jahre waren seit der "Roll The Bones"-Tour vergangen, die RUSH zum letzten Mal nach Europa geführt hatte. Doch anno 2004 waren die kanadischen Götter endlich wieder zum livehaftigen Knochenorakel in der Alten Welt erschienen, welches sie zum Warmwerden mit einem Geburtstagsinstrumentalmedley eröffneten, um dann zu ›The Spirit Of The Radio‹ überzuleiten.
Für Verwunderung sorgte indes das Stageset, denn während Alex ganz klassisch auf eine MARSHALL-Wand setzte, waren Geddys Verstärker ein wenig exzentrischer designt: Zwei Wäschetrockner und ein Getränkeautomat mit selbstwechselndem Angebot gaben bei ihm den Ton an. Auf der musikalischen Tagesordnung standen derweil ›Force Ten‹, ›Animate‹ und das aufwühlende ›Subdivisions‹, bevor in ›Earthshine‹ die erste Nummer des im Grunde immer noch aktuellen Studioalbums ›Vapor Trails‹ gezogen wurde.
Anschließend durften die beiden »Moving Pictures«-Oldtimer ›Red Barchetta‹ und ›YYZ‹ zwei »Roll The Bones«-Stücke einrahmen, nämlich den Titelsong sowie ›Bravado‹, in das man lässig ›Day Tripper‹ von den BEATLES einbaute. Alsbald wurde der Blick erneut von der Leinwand gefesselt und wir folgten RUSH visuell in den Wald, akustisch zu ›The Trees‹, woraufhin sich der erste »Feedback«-Coversong anschloß: ›The Seeker‹ von THE WHO - natürlich mit einem unverkennbaren RUSH-Überzug belegt. Vor dem letzten Song des ersten Sets tauchte der Drache, den man vom »Rush In Rio«-Livealbum her kennt, auf der Leinwand auf, schmauchte sich einen, bevor dann die vom Cover bekannt Feuerkugel den »Vapor Trails«-Opener ›One Little Victory‹ ankündigte.
Und schon war das erste, knapp 80-minütige Set in der erschreckend schwach gefüllten Schleyerhalle vorüber, obwohl man eigentlich einen zusätzlichen Zustrom hätte erwarten können, da die Show in München aus technischen Gründen abgesagt worden war, was nicht gerade ein gutes Licht auf die Musikkultur im Süden Deutschlands wirft. Immerhin waren die komplette Englandtour ratzekahl ausverkauft gewesen und einige Tage später in Frankfurt konnte mindestens die doppelte Zuschauerzahl notiert werden.
RUSH boten in jeder Hinsicht Vollbedienung: Zusätzlich zur - natürlich! - makellosen Präsentation der Songs, dem prägnanten und klaren Sound sowie der atemberaubenden Lightshow wurde während der gesamten Performance die Leinwand im Bühnenhintergrund vielfältig genutzt: Mal flimmerten hinter den Musikern ihre vergrößerten Pendants, mal wurden alte Videos und Photos gezeigt oder aber es gab Animationen zu bewundern, die auf den jeweiligen Song zugeschnitten waren. Die seitlichen Erweiterungsstreifen erweckten dabei den Eindruck, als würde die Leinwand in die Unendlichkeit übergehen, während unser aller Freund ›Tom Sawyer‹ uns zum zweiten, etwa 90-minütigen Set begrüßte.
Bei ›Dreamline‹ zuckten erstmals grüne Laserstrahlen durch die Halle und obgleich dieses Showelement wie in vergangenen Tagen nicht mehr den Anspruch erheben kann, revolutionär zu sein, sieht es doch immer noch sehr beeindruckend aus. ›Secret Touch‹ und ›Between The Wheels‹ führten die perfekte Umsetzung von allem, was die Faszination an Musik jemals ausgemacht hat, fort, bevor ›Mystic Rhythms‹ so manchen Besucher zu einem zuckenden Energiebündel mutieren ließ, das im ›Red Sector "A"‹ endgültig in höhere Sphären aufstieg.
Das ›O Baterista‹-Drumsolo gab Zeit, sich zu sammeln und noch mehr zu staunen: Zum einen ist Neil mit einem doppelten Drumset angetreten, das sich zur Hälfte seines zehnminütigen Solos um die eigene Achse dreht und ihn zwingt, seine Position zu wechseln, und zum anderen inszeniert Neil eine geniale Kombination von traditionellem Drumming und den Möglichkeiten, die die moderne Technik einem Drummer zur Verfügung stellt.
Während Neil seine wohlverdiente Pause erhielt, nahmen Alex und Geddy mit Akustikgitarren Platz und sorgten für den Ruhepol des Konzertes: Vor allem ›Resist‹ aber auch die YARDBIRDS-Nummer ›Heart Full Of Soul‹ provozierten Gänsehaut pur!
Anschließend begannen, Galaxien und Milchstraßen über die Leinwand zu huschen, um den "altbackenen" Schluß der Show einzuleiten, der ausschließlich aus Songs aus den Siebzigern bestand: Den Anfang machte ein Auszug aus RUSHs Epos »2112«, während Alex bei seinen Gesangsversuchen beim nachfolgenden ›La Villa Strangiato‹ unter leichten Wortfindungsstörungen litt, so daß Geddy in schallendes Gelächter ausbrach, während Neil nur von einem Ohr zum anderen grinsen mußte. Und es war auch Alex, der by, 'tschulligung bei ›By Tor & The Snow Dog‹ zunächst einen echten (Garten-)Zwergenaufstand auf dem Griffbrett probte, um anschießend mit seinen beiden RUSH-Kollegen auf der Leinwand die Hauptrolle in einem kleinen absurd-witzigen Cartoon zu spielen.
›Xanadu‹ und ›Working Man‹ schließlich beendeten den Hauptteil des Auftritts, doch das Trio mußte sich nicht lange zu einer Zugabe bitten lassen: Nachdem man die Shirts aus Geddys Trockner ins Publikum geworfen waren, kam in ›Summertime Blues‹ und ›Crossroads‹ nochmal »Feedback« zu seinem Recht, bevor das letzte sich bewegende Bild, ›Limelight‹, einen Abend überschießender, unkontrollierbarer Emotionen beendete.
Kritikpunkte? Keine natürlich. Wer bin ich, als daß ich eine solche Blasphemie begehen dürfte? Dennoch möchte ich mich erdreisten anzumerken, daß die Fremdkompositionen den Schönheitsfehler des Abends darstellten. Zwar haben wir es dem 30-jährigen Bandjubiläum und der zugehörigen »Feedback«-Coverscheibe zu verdanken, daß RUSH endlich wieder den Ozean überquert hatten, doch letztendlich hätte sicherlich jeder der Anwesenden eher RUSH-Songs begrüßt, egal ob es nun ›Noboby's Hero‹, ›Bastille Day‹ oder ›The Pass‹ gewesen wäre. Schließlich könnten RUSH einen zehnstündigen Set spielen und es wären immer noch nicht alle Wünsche erfüllt.
Jedoch sollen keine kleinlichen Nörgeleien die Erinnerung an diese unvergleichliche dreistündige Reise durch die Dimensionen des RUSH-Universums trüben. Und sollte es vielleicht das letzte Mal gewesen sein: Danke, Geddy, Alex und Neil für diese Momente wahren Glücks, die alles andere vergessen ließen.
Photos: Stefan Glas