Jon Lord – Beyond The Notes
CAPITOL RECORDS
Kleine Geschichtsstunde: Jon Lord, die "graue Eminenz" des Hard Rock, hat sich im Laufe der Jahre 2001 und 2002 endgültig von DEEP PURPLE losgesagt. 2003 hat er hauptsächlich mit dem Aufführen von orchestralen Werken verbracht, als Gast bei der australischen Version seines »Concerto For Group and Orchestra« (im Original mit DEEP PURPLE 1969 bzw. 1999/2000) oder seinem neuen Stück (mit Pianist statt Band) "Boom of the Tingling Strings" (nicht auf Konserve erhältlich). Die Arbeit mit Orchester ist ihm also wirklich ernst. Schon in den 70ern hatte er es mehrfach versucht und nach dem Concerto kamen innerhalb von vier Jahren gleich drei Versionen der "Gemini Suite", dann folgte 1976 das Studioalbum »Sarabande« (Variationen barocker europäischer Tänze). Das letzte Solowerk »Pictured Within« (ein sehr ruhiges, romantisches Album) wurde 1999 nicht mit einem großen Orchester, sondern mit kleinem Streichquartett und einzelnen Rockmusikern aufgenommen. Die Stimmen sowie Drummer und Percussionist sind auch auf »Beyond The Notes« wieder zu hören.
Alle vorherigen Soloalben (inklusive der hier nicht genannten) haben eines gemeinsam: Sie wirken wie aus einem Stück gegossen - und sind jeweils etwas ganz Neues. Das ist beim aktuellen Album leider nicht der Fall. Irgendwie wirken die meisten Versatzstücke bekannt - es kommt kein "Wow-Feeling" auf.
Das erste Stück (›Miles Away‹) ist tatsächlich vom letzten Album übriggeblieben und wird aus welchen Gründen auch immer erst jetzt veröffentlicht. Das letzte Stück (›Music For Miriam‹, gewidmet Jons verstorbener Mutter) wurde verlängert und für ein großes Orchester arrangiert. Auch die Gesangsstücke (›One From The Meadow‹ mit Sam Brown, ›November Calls‹ mit Miller Anderson und ›The Sun Will Shine Again‹ mit Ex-ABBA-Sängerin Frida) hätten problemlos auf das vorherige Album gepaßt. Die Stimmen von Jons langjährigen Weggefährten Sam und Miller sind natürlich wieder genial - so wurden die Songs auch schnell zu meinen Lieblingen. Mit Frida geht es mir da nicht so, meiner Meinung nach hat sie nämlich keine unverwechselbare Stimme - und die Marketing-Strategie, daß dieser "Der Titel sagt alles"-Song nun ihr Comeback auf die Bühne nach schweren Schicksalsschlägen ist, geht mir ziemlich auf die Nerven.
Da gibt es Schicksalsschläge, die etwas weniger pathetisch behandelt werden (und auf den drei bisher stattgefundenen Konzerten durchaus mit Spaß aufgeführt wurden). So ist ›I'll Send You A Postcard‹ dem 2001 an Krebs verstorbenen Tony Ashton gewidmet, mit dem Jon seit 1970 immer wieder musikalische Projekte verwirklicht hatte. Und ›A Smile When I Shook His Hand‹ ist eine Erinnerung an den ebenfalls 2001 an Krebs verstorbenen George Harrison (mit dem Jon zwar kaum gearbeitet hat, aber auch viele Jahre befreundet war). Beide Songtitel erschließen sich erst durch die Texte im Booklet beziehungsweise den Interviews und Ansagen - rein musikalisch gehören sie eindeutig zu der "leichteren Ware".
Ebenfalls mit tieferem Sinn behaftet ist das zweite Stück ›De profundis‹, das die Loslösung von DEEP PURPLE behandelt. Fans werden leicht die eine oder andere Anspielung erkennen - da sie jeweils nur wenige Takte lang sind, sind wirklich nur für Kenner leicht zu identifizieren. Ein Querschnitt durch Jons bisheriges Schaffen. ›The Telemann Experiment‹ geht dort noch ein paar Schritte weiter und läßt nicht nur Georg Phillip Telemann (1681-1767) aufleben, sondern hat als zweite Inspirationsquelle laut eigener Aussage schwedische Volksmusik... ›Cologne Again‹ (in Köln wurden sowohl »Beyond The Notes« als auch »Pictured Within« aufgenommen) sei der Vollständigkeit auch genannt. Auch hier gibt es einen Durchmarsch durch verschiedene Stile; DEEP PURPLE-Fans werden sich vor allem über die kurze Passage mit Hammond-Orgel freuen. Mir persönlich klingt das Stück zu sehr nach einem Versuch, kommerziell zu sein.
Auch nach x-fachem Hören bin ich mir immer noch nicht sicher, welche Note ich dem Album geben soll - je nach Tageslaune schwanke ich zwischen 16 und 11...