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Der pure Wahnsinn: Die Melodicszene enthält eine eidgenössische Frisch­zellenkur! In Form von »Fables & Dreams« veröffentlichen die Schweizer LUNATICA eines der besten Melodicalben des Jahres. Dabei mußten LUNATICA, die 1998 gestartet waren, bis kurz vor den Aufnahmen ihres 2001er Debuts »Atlantis« suchen, um in Andrea Dätwyler die geeignete Sängerin zu finden. So zeigte »Atlantis« schon das Potential, das in der Band steckt, doch selbiges kommt erst bei »Fables & Dreams« zur vollen Entfaltung.
Wir baten die Frau mit der unter die Haut gehenden Stimme, LUNATICA-Sängerin Andrea Dätwyler, um eine verbale Ganzkörpermassage.

Bei Eurer ersten Platte »Atlantis« wart Ihr fast eine Big Band: LUNATICA umfaßte neun Musiker. Für das neue Album »Fables & Dreams« habt Ihr das Line-up quasi halbiert. Wie kam's?

Wir hatten damals zwei Backgroundsängerinnen und einen dritten Gitarristen. Sie verließen nach »Atlantis« aus beruflichen oder privaten Gründen nach und nach die Band und wir stellten fest, daß es nicht notwendig war, sie zu ersetzen, da unser Sound gar nicht für diese Vielzahl von Musikern konzipiert war: In keinem der Songs war eine dritte Gitarre speziell vorgesehen und den Backgroundgesang habe ich auf der neuen CD selbst übernommen.

Derzeit fehlt Euch lediglich noch ein Bassist, denn die vier Saiten wurden auf »Fables & Dreams« von Eurem Engineer Olaf Reitmeier eingespielt.

Wir sind sehr froh, daß uns Olaf ausgeholfen hat. Doch unser Bassistenproblem hat sich gerade geklärt, denn seit August haben wir in Emilio Barrantes einen festen Basser.

Von »Atlantis« zu »Fables & Dreams« kann man eine enorme Steigerung feststellen. Inwiefern hatten Leute wie Sascha Paeth oder eben Olaf Reitmeier, mit denen Ihr im Studio gearbeitet hattet, Anteil daran?

Wir hatten genügend Zeit für »Fables & Dreams«, so daß wir das Arrangement so ausarbeiten konnten wie wir es uns vorgestellt hatten. Bei »Atlantis« bestand die Besetzung erst seit etwa drei Monaten, so daß wir die Songs mehr oder minder in einer Nacht- und Nebelaktion aufnahmen. Doch der Einfluß, den Sascha und Olaf auf das Endprodukt hatten, war sehr wichtig. Nicht umsonst war Sascha unser Wunschkandidat.

Die beiden haben jedoch gewiß nicht für 'n Appel und 'n Ei gearbeitet. Dennoch habt Ihr die Produktion von »Fables & Dreams« selbstfinanziert.

Man muß einfach etwas riskieren. Wir hatten entweder die Möglichkeit, nach bewährtem Muster weiterzumachen und in einem Finanzrahmen zu bleiben, der uns nicht erschreckt hätte, oder aber etwas zu machen, das Hand und Fuß hat. Daher haben wir gemeinsam einen Kredit aufgenommen, um die Platte finanzieren zu können, weil wir mit dem Endresultat zufrieden sein wollten. Wir spürten deutlich, daß es Zeit war, einen Schritt weiterzugehen.

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Ihr habt also hoch gepokert: Wenn der Deal nicht zustande gekommen wäre, hättet Ihr im nächsten Jahr unter einer Brücke schlafen müssen, oder wie?

Ganz so schlimm wäre es nicht geworden, aber wir hätten schon einige Zeit gebraucht, um den Kredit abzuzahlen. Außerdem wäre es um so schwieriger geworden, eine dritte CD aufzunehmen.

Die Entwicklung zwischen den beiden Platten dokumentiert am deutlichsten der Song ›Silent Scream‹, der auf dem Debut zu hören war und nun in überarbeiteter Version auch auf »Fables & Dreams« steht.

Es wäre schön, wenn wir alle »Atlantis«-Songs nochmal richtig arrangieren und neu aufnehmen könnten. Aber wir haben natürlich schon jede Menge neue Songs, die für uns natürlich Vorrang haben.

»Fables & Dreams« erschien bereits im April in der Schweiz, so daß die Platte für Euch fast schon kalter Kaffee ist. Steht der Nachfolger gewissermaßen schon vor der Tür?

Für uns dauerte es schon ewig lange, bis die Platte in der Schweiz erhältlich war, da wir die Songs bereits im Sommer 2003 aufgenommen hatten. Ende September fand dann das Mastering statt, doch die Organisation des Vertriebes in der Schweiz brauchte eine Menge Zeit. Für die dritte Platte haben wir schon etliche Ideen und Grundgerüste, aber die kompletten Songs stehen noch nicht.

Auf »Fables & Dreams« scheint auch Dein Einfluß größer geworden zu sein, da alle Gesangslinien von Dir stammen. Bei »Atlantis« hast Du anscheinend nur die Texte geschrieben.

Nein, ich hatte auch bei »Atlantis« die Gesangslinien entwickelt, aber ich hatte viel zu wenig Zeit, weil ich etwa drei Monate vor den Aufnahmen zur Band stieß, so daß ich letztendlich nicht zufrieden war. Ich habe auf »Fables & Dreams« zudem die Möglichkeit genutzt, die Grenzen meiner Stimme weiter auszureizen, während mein Gesang auf »Atlantis« relativ eintönig ausgefallen war.

Ihr habt ›Hymn‹ von ULTRAVOX gecovert. Normalerweise werden Coverversionen aufgenommen, weil man sich dadurch eine Chartpositionierung erhofft oder aber Casting- oder Retortenbands greifen zu Coverversionen, weil sie selbst einfach keine Songs schreiben können. Diesen Vorwurf kann man LUNATICA weiß Gott nicht machen. Hattet Ihr also eine potentielle Hitsingle im Auge?

Nein, der Grund war ein ganz anderer: Wir wollten für unsere Liveshow ein Cover einstudieren, das wir als Zugabe spielen können. Die Wahl fiel auf ULTRAVOX, weil wir mit Achtziger-Sound aufgewachsen sind. Da das Feedback vom Publikum immer gut war, haben wir uns entschlossen, den Song auch für die Platte aufzunehmen. Allerdings war uns nicht bewußt, daß EDGUY ›Hymn‹ auch schon gecovert hatten.

Auf »Atlantis« hattet Ihr einen Drachen als Maskottchen, den man auf »Fables & Dreams« nicht mehr entdecken kann. Ist ihm etwas zugestoßen?

Eigentlich war der Drache nur mit der ersten Platte verbandelt. Ein Arbeitskollege unseres Gitarristen Sandro, der Tribals und Tattoos entwirft, hatte den Drachen gezeichnet. Da uns sein Design sehr gut gefallen hatte, tauchte der Drache auf »Atlantis« auf. Wenn man allerdings genau hinschaut ist der Drache stilisiert auch in unserem neuen Logo zu erkennen.

Nicht alle Sängerinnen sind komplett für ihre Gesangslinien und Texte verantwortlich, sondern bekommen mitunter auch fertiges Material von ihrer Band vorgesetzt. Könntest Du Dich mit einer solchen Konstellation begnügen?

Nein, ich muß mich kreativ ausdrücken können. Ich bin zwar immer offen für Vorschläge von meinem Mitmusikern, die ich gerne in Betracht ziehe. Ich denke einfach, daß Texte und Melodielinien so eng miteinander verbunden sind, daß sie am besten aus einer Hand kommen sollten - zumal ich diejenige bin, die sie dem Hörer "verkaufen" muß.

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Songtitel wie »Atlantis« oder ›Avalon‹ vermitteln eine märchenhafte oder mystische Aura.

Das rührt daher, daß ich sehr gerne Fantasyromane lese, die mich bei meinen Texten inspirieren. Allerdings sind auch zeitpolitische Ereignisse oder zwischenmenschliche Beziehungen ein Thema für mich. Wichtig ist allerdings, daß die Texte immer eine positive Ausstrahlung besitzen, aber nicht kitschig sind. Außerdem versuche ich immer möglichst unkonkret zu bleiben, um dem Hörer einen großen Interpretationsspielraum zu geben.

Wenn Du gerne Fantasyromane liest, dann sag' mir bitte, daß Du "Herr der Ringe" gelesen hast bevor die Filme ins Kino kamen...

Ja, ich kannte die Bücher schon früher und fand sie total genial. Aber ich lese nicht nur Fantasybücher, sondern beispielsweise auch Thriller. Im Grunde habe ich immer ein Buch in der Hand.

In Deinem Steckbrief auf der LUNATICA-Homepage gibst Du nicht nur an, daß Du italienisches und chinesisches Essen, sondern auch den Eishockeyverein EHC Olten magst. Wie kommt's, daß ein zartes Mädel auf Männer mit monströsem Körperschutz und Schlittschuhen steht?

Unser Keyboarder Alex hat mich irgendwann mal zu einem Spiel mitgenommen und es hat mich voll gepackt, so daß ich mittlerweile fast zu jedem Heimspiel des EHC Olten gehe. Außerdem sind wir gerade mit LUNATICA bei der 70-Jahr-Feier des Clubs aufgetreten. Mittlerweile hat es sich sogar eingebürgert, daß irgendein LUNATICA-Song angespielt wird, wenn die Mannschaft einmarschiert oder wenn sie ein Tor schießen.

Außerdem gibst Du auf der Homepage zu Protokoll, daß Du gerne Karate lernen würdest.

Das rührt vermutlich daher, daß mein älterer Bruder Nahkampfausbilder bei der Polizei ist. Ich habe früher schon Judo gemacht, aber da kann man sich einfach nicht richtig wehren, wenn's ernst wird. Daher würde ich gerne Karate können.

Man darf sich also von Deinem Äußeren nicht irritieren lassen, sondern man muß sich durchaus vor Dir in Acht nehmen, richtig?

Manchmal habe ich ein leicht überschießendes Temperament, aber ansonsten bin ich ganz verträglich. Eigentlich bin ich immer diejenige, die Probleme schlichtet oder versucht, das Positive an etwas zu sehen.

Der Name Dätwyler klingt durch und durch schweizerisch. Stammst Du aus einer Ur-Schweizer Familie?

Absolut! Die Dätwylers wohnen schon seit Generationen in dieser Gegend und wir haben sogar ein eigenes Familienwappen. Allerdings ist mein Name im Ausland ein echtes Problem: Mittlerweile versuche ich schon gar nicht mehr, meinen Namen zu buchstabieren, sondern schreibe ihn gleich auf.

Du zählst NIGHTWISH, KAMELOT und SAMAEL als Deine Lieblingsbands auf. Diese Bands sind zum einen stilistisch sehr unterschiedlich und vor allem würde man dann nicht zwangsläufig schlußfolgern, daß Du bei einer sehr melodischen Gruppe wie LUNATICA singst.

Als ich zu LUNATICA kam stand ich eigentlich ausschließlich auf Death und Gothic Metal. Ich mochte klaren Männergesang beispielsweise überhaupt nicht. Doch die maßgeblichen Einflüsse bei LUNATICA haben mir verdeutlicht, daß es auch noch ganz andere tolle Musik gibt. Außerdem habe ich dann auch Bands wie NIGHTWISH oder WITHIN TEMPTATION entdeckt.

Wenn Dir der Gesangsstil von Tarja oder Sharon gefällt, wäre es denkbar, daß Du eines Tages ähnlichen Gesang auch bei LUNATICA verwendest? Könntest Du solche Vocals singen?

Ich hatte zwar klassischen Gesangsunterricht, aber ich glaube nicht, daß ich das könnte; vor allem nicht über solch eine lange Zeit. Manchmal experimentiere ich mit solche Spielereien, aber letztendlich singe ich lieber aus dem Bauch heraus, weil ich so besser die Stimmungen rüberbringen kann. Außerdem steht nicht jeder in unserer Band auf sopranesken Frauengesang.

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Deine musikalischen Vorlieben erklären wohl, warum Du Deine musikalische Karriere bei MESCARBONIC begonnen hast, die eine ganze Ecke härter als LUNATICA waren.

Vor allem klangen MESCARBONIC sehr viel düsterer und melancholischer, was mir damals sehr gut gefallen hat. Außerdem gibt es eine weitere Verbindung zu MESCARBONIC, denn der damalige zweite Gitarrist Emilio Barrantes, der sich auf der CD "MG" nannte, ist jetzt als neuer Basser zu LUNATICA gestoßen.

Wie kommt jemand, der auf den aktuellen Promophotos ganz in Weiß gekleidet ist, zu Death und Gothic Metal?

Ich war früher immer komplett schwarz gekleidet, doch im letzten Sommer habe ich diesen Stilbruch vollzogen, weil man oft über uns gesagt hatte, daß wir Gothic Metal machen würden. Doch dagegen haben wir uns immer gewehrt, weil wir eben Melodic Metal spielen. Auch bei unserer CD-Taufe bin ich ganz in Weiß aufgetreten, was toll aussah, weil wir viel verschiedenfarbiges Licht verwendet hatten.

Auch Deine Lieblingsfilme sind sehr unterschiedlich: "Sleepy Hollow" und "Moulin Rouge".

Bei "Sleepy Hollow" hat mir die Machart sehr gut gefallen: Regisseur Tim Burton hat es geschafft, daß der Film fast wie gemalt aussieht. Außerdem finde ich, daß Johnny Depp ein toller Schauspieler ist. Bei "Moulin Rouge" haben mich die Musik und der Glamour beeindruckt. Außerdem ist es ein Film, bei dem ich auch mal weinen kann, wenn es mir schlecht geht.

Du hast also offensichtlich einen sehr vielseitigen Geschmack, doch das widerspricht ein wenig dem Motto "Stay simple", das Du in Deinem Steckbrief als "Good Idea" angibst.

Das Motto beziehe ich eher auf das ganze Leben, darauf, daß man Probleme nicht größer machen sollte als sie wirklich sind, sondern daß man sich zusammensetzen und eine einfache Lösung finden sollte. Ich bin einfach ein optimistischer Typ und versuche immer, positive Vibes zu verbreiten.

Welche Ziele habt Ihr Euch für LUNATICA gesteckt? Immerhin hast Du schon gesagt, daß Ihr einigen finanziellen Aufwand betrieben habt.

Unser Nahziel wäre, daß wir endlich mal auf Tour gehen und auch das Ausland bereisen könnten. Außerdem wäre es toll, wenn wir unsere dritte CD in Zusammenarbeit mit unserem Label machen könnten. Das Fernziel wäre natürlich, daß wir irgendwann von der Musik leben können, aber es muß immer der Spaß im Vordergrund stehen und die Musik darf nie zu einem Muß verkommen.

Das bedeutet also, daß Ihr es nicht mehr schaffen würdet, eine weitere CD aus eigener Tasche zu finanzieren?

Letztendlich wären wir wohl verrückt genug, daß wir wieder Geld investieren würden, um eine weitere Platte zu machen, weil wir für die Musik leben. Doch es wäre erfreulich, wenn FRONTIERS mitmachen würden.

Die Melodicszene ist sehr speziell strukturiert: Es gibt viele alte Heroen, die in den Achtzigern die Charts beherrscht haben, von denen aber in den Neunzigern niemand mehr etwas wissen wollte. Heute können sie zumindest auf kleinerem Level wieder Musik machen, doch meist tun sie das in immer neuen Projekten mit ständig wechselnden Musikerkonstellationen, aber es handelt sich fast nie um Bands im klassischen Sinne. Ihr seid hingegen eine gewachsene, aufstrebende Band. Wie siehst Du Eure Perspektive in dieser Szene?

Zweifelsohne gibt es viele fähige Musiker und Bands in dieser Szene. Niemand weiß, wie es in fünf Jahren aussehen wird. Daher denke ich, man soll Musik für den Moment machen: Die Musik, die einem selbst gefällt und man darf sich drüber freuen, wenn es andere gibt, die ebenfalls ihren Spaß dran haben.

Daher steht zu hoffen, daß LUNATICA möglichst viele solcher Menschen finden werden, denn »Fables & Dreams« ist ein Meisterwerk des melodischen Metals geworden.

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c/o Alexander Seibert
Nordstraße 19
CH - 5036 Oberentfelden
Schweiz

http://www.lunatica.ch/

alex@lunatica.ch

Vorbereitung, Interview & Bearbeitung:
Stefan Glas

LUNATICA im Überblick:
LUNATICA – New Shores (Rundling-Review von 2009 aus Online Empire 39)
LUNATICA – The Edge Of Infinity (Rundling-Review von 2006 aus Online Empire 29)
LUNATICA – Heavy, oder was!? 78-Interview (aus dem Jahr 2004)
LUNATICA – Online Empire 13-"Rising United"-Artikel (aus dem Jahr 2002)
LUNATICA – Online Empire 20-"Known'n'new"-Artikel (aus dem Jahr 2004)
LUNATICA – Online Empire 21-Interview (aus dem Jahr 2004)
LUNATICA – Online Empire 23-"Living Underground"-Artikel (aus dem Jahr 2005)
LUNATICA – News vom 12.11.2008
LUNATICA – News vom 25.05.2010
LUNATICA – News vom 07.08.2012
LUNATICA – News vom 24.04.2015
Soundcheck: LUNATICA-Album »Fables & Dreams« im "Soundcheck Heavy, oder was!? 78" auf Platz 33
Soundcheck: LUNATICA-Album »The Edge Of Infinity« im "Soundcheck Heavy 94" auf Platz 26
Playlist: LUNATICA-Album »Fables & Dreams« in "Jahrescharts 2004" auf Platz 2 von Stefan Glas
Playlist: LUNATICA-Album »Fables And Dreams« in "Playlist Heavy, oder was!? 77" auf Platz 3 von Stefan Glas
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