Es ist wohl keineswegs übertrieben, wenn man behauptet, die NWoBHM-Legende TYGERS OF PAN TANG würde seit geraumer Zeit ihren sprichwörtlichen "zweiten Frühling" erleben. Der hält mittlerweile übrigens sogar schon eine gute Dekade an, und wird, wie es aussieht, so schnell wohl auch kein Ende nehmen. Wie auch, veröffentlicht die 1978 gegründete Truppe dieser Tage mit »Bloodlines« doch ein weiteres Hammeralbum.
Das sieht Sänger Iacopo Meille logischerweise genauso, auch wenn er zu Beginn unseres Gesprächs noch nicht ganz so sicher wirkt. Das ist nachvollziehbar, schließlich zählten wir zu den ersten Interviewpartnern, die ihn zum neuesten Dreher der mittlerweile nur noch zu 3/5 aus britischen Musikern bestehenden Formation befragten. Vorhersagen, welche Resonanz da auf ihn zukommen wird, konnte der gute Mann klarerweise nicht. Doch jegliche Unsicherheit war nach den ersten Sätzen verflogen, als wir den in Florenz lebenden Sympatikus zum abendlichen Zoom-Meeting in seinem Wohnzimmer erreichten, und ihm mitteilten, daß sich die Wartezeit seit »Ritual« nicht nur gelohnt hätte, sondern die Band ein wahrlich imposantes Gerät veröffentlichungsreif gemacht hat, an dem sich in diesem, wenn auch noch jungen Jahr, die Konkurrenz wohl messen wird müssen.
Der Veröffentlichungszyklus von drei Jahren scheint sich bei Euch mittlerweile etabliert zu haben. Darf man sich die Arbeiten an »Bloodlines« demnach genauso vorstellen wie zuvor?
Nein! So intensiv wie dieses Mal haben wir nämlich schon sehr lange nicht an einem Album gearbeitet. Ehrlich gesagt, überhaupt noch nie. [lacht] Allerdings hatten wir auch noch nie so viel Zeit dafür. Es mag vielleicht komisch klingen, aber ohne der ganzen CoVid- und Pandemie-Geschichte würden wir jetzt wohl über ein anders klingendes Album sprechen. Da wir aber regelrecht dazu "verdammt" waren, zu Hause zu bleiben, sprich so gut wie gar nichts unternehmen durften, schon gar nicht gemeinsam, haben wir uns intern darauf geeinigt, das Songschreiben in den Vordergrund zu stellen. Daraus resultierte unter anderem, daß wir noch mehr Augenmerk als sonst auf die Eingängigkeit der Songs zu legen.
Gutes Stichwort: Einer der wesentlichsten Unterschiede zu Euren letzten Scheiben ist für mich die höhere Anzahl an Hooks, Melodien und zwingenden Refrains. Das war Absicht, richtig?
Ganz genau! Ein Teil davon geht übrigens auf die Kappe unseres neuen Gitarristen Francesco Marras (unter anderem bei SCREAMING SHADOWS - ws). Er hat den Posten von Micky Crystal übernommen, der uns 2020 verlassen hat. Kurz danach, irgendwann im Sommer 2020, begannen wir dann mit dem Schreiben der Songs. Und da wir eben mehr Zeit denn je hatten, waren es bald an die 20 Titel, die uns zur Verfügung standen. Zehn davon sind nun auf dem Album zu hören, einen weiteren haben wir vorerst für die japanische Version als Bonustrack aufgespart. Da wir aber dermaßen überzeugt von der Klasse der Tracks sind, wird es diese irgendwann allesamt zu hören geben. Wann, und in welcher Form, haben wir jedoch noch nicht entschieden.
Ist denn der deutlich auffälligere Mehranteil an Melodien allein Francesco zuzuschreiben?
Nicht ganz. Allerdings war es sehr wohl er, der damit begonnen hat, und sich dadurch auch so richtig ins Geschehen einbrachte. Es ist definitiv seine Handschrift, von der Nummern wie etwa ›Fire On The Horizon‹ geprägt sind. Doch das allein zeichnet den Kerl nicht aus. Er war es schließlich auch, der Robb Weir mehr oder weniger davon überzeugt hat, die immer noch knallharten Riffs mit einem Mehranteil an Melodik auszustaffieren.
Dabei dachten wir immer, Robb wäre der "Alpha-Tyger". Ist er das denn nicht mehr?
Doch, doch. Schließlich lenkt er - trotz eines zwischenzeitlichen Ausstiegs - seit gut 30 Jahren die Geschicke dieser Band. Ohne Robb gäbe es die TYGERS längst nicht mehr. Francesco hat jedoch von Beginn an einen derart guten Draht zu ihm finden können, daß die beiden mehr oder weniger von Beginn an harmonierten. Und wie Du hören kannst, ist ein geradezu sensationelles Gespann aus den beiden geworden. Schon sein Einstieg hat uns - allen voran natürlich Robb - schwer beeindruckt. Der hat in seiner langjährigen Karriere schließlich schon mit zig Gitarristen zusammengespielt, noch nie aber jemanden zur Seite gehabt, der bei einem Soundcheck spontan und unmittelbar in sein Spiel eingestiegen ist. Daß die beiden in weiterer Folge daraus einen Song gemacht haben, dürfte jetzt nicht weiter verwundern, oder?
Nicht mal ansatzweise. Vielmehr scheint es, als ob ihr durch Francesco eine Art "Frischzellenkur" verabreicht bekommen habt. Korrekt?
Auf jeden Fall! Man darf durchaus auch sagen, er hat genau jene Menge "frisches Blut" mit ins Spiel gebracht, das uns auf ein noch höheres Level gehievt hat. Glaub' mir, es macht richtig Spaß, unser Gitarrenteam bei der Arbeit zu beobachten. Und noch mehr natürlich, in dieses Spiel einzusteigen! Das paßt vor allem mir in den Kram, denn Francesco hat auch ein verdammt gutes Händchen für Gesangsmelodien. Nicht zuletzt deshalb kann ich echt prima mit ihm zusammenarbeiten. Und das sage ich jetzt nicht bloß, weil ich nun endlich einen Landsmann in der Band habe. [lacht]
Das von Dir zitierte "frische Blut" hat aber nichts mit dem Albumtitel zu tun?
Nicht direkt. Obwohl man es durchaus so interpretieren kann. Blut ist schließlich eine der wichtigsten Quellen des Lebens überhaupt. Das hat sich auch auf die Texte niedergeschlagen. Die wurden zwar zugegebenermaßen vorwiegend von der Pandemie beeinflußt, doch das Virus hat ja bekanntermaßen unter anderem auch Auswirkungen auf das Blutbild. Unter anderem diese Tatsache, hat mich zum Text von ›In My Blood‹ inspiriert. Auch ›Edge Of The World‹ darf in Richtung Pandemie interpretiert werden, schließlich fühlten wir uns allesamt gewissermaßen am Abgrund.
Schön für uns, daß Ihr nicht völlig resigniert habt. Es gab doch auch einige Bands, die während der Pandemie die Segel gestrichen haben.
Darüber haben wir nicht einmal nachgedacht. Ich würde sogar behauptet, die ganze Situation hat uns noch weiter zusammengeschweißt. Das war in der Tat sogar gut für uns, weil es ja auch darum ging, daß sich die beiden neuen Kollegen erst einmal einleben können. Und nicht nur mit Francesco war es wunderbar zusammenzuarbeiten, auch unser Basser Huw Holding, der 2021 zur Band gestoßen ist, hat gemeint, er hätte sehr viel davon profitiert, daß schon bald danach auch im Bandleben nicht mehr "alltäglich" zugegangen ist. Bei uns war zwar schon immer Teamwork angesagt gewesen, so deutlich wie bei »Bloodlines« war das aber bislang nicht zu spüren. So soll es auch bleiben!
Arbeiten im Kollektiv dürfte auch bei Deinen anderen Betätigungsfeldern das Um und Auf sein, oder?
Generell schon. Allerdings muß man dabei doch ein wenig differenzieren. Bei SAINTED SINNERS konnte ich bislang nämlich noch nicht allzu viel beitragen. Zum einen, weil Frank (Pane, im Moment unter anderem auch bei BONFIRE als Gitarrist tätig - ws) der Chef der Band ist, und zum anderen, weil ich den Posten am Mikro erst 2020 übernommen habe. Allerdings ist Frank ein sehr umgänglicher Typ, weshalb ich davon überzeugt bin, daß wir beim nächsten Album sehr wohl als Team zusammenarbeiten werden. Definitiv im Kollektiv funktioniert die Arbeit bei DAMN FREAKS. Allerdings ist bei diesem Unternehmen dazuzusagen, daß ich es zusammen mit einigen Kumpels hier aus der Gegend von Florenz als Spaßprojekt betreiben. Es ist zwar durchaus professionell wie wir arbeiten, allerdings tun wir das nur dann, wenn alle dafür Zeit haben. Mal sehen, wann es wieder so weit ist. Die bisherigen beiden Alben kamen jedenfalls gar nicht schlecht an. Es freut mich, daß man meine Stimme auch im traditionellen Hard Rock-Bereich schätzt. Dort liegen nämlich meine Wurzeln, und aus dieser Ecke stammen auch die meisten meiner Lieblingsbands.
http://www.tygersofpantang.com/
Photos: Steve Christie