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  UE-Home → History → Online Empire 89 → Interview-Übersicht → Dee Snider-Interview last update: 27.03.2024, 15:23:21  

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Fünf Jahre ist es her, daß sich die legendären TWISTED SISTER auf ihrer Abschiedstournee befanden, um sich von ihren treuen Fans zu verabschieden. Für immer wohlgemerkt. Denn im Vergleich zu unzähligen anderen Vertretern ihrer Zunft, war für Frontmann Dee SNIDER und seine Kollegen von Beginn an klar, daß ihr Abschied definitiv und endgültig ist, und selbst lukrative Angebote sinnlos wären, um die Formation kurzfristig wieder auf diverse Bühnen zu scheuchen. Die Band ging jedoch weder im Streit auseinander, noch lag es an Alterserscheinungen oder gar mangelnder Motivation ihrer Mitglieder, vielmehr lag es daran, daß diese Herrschaften seit jeher mit unglaublicher Kompromißlosigkeit und aus purer Überzeugung an ihre Arbeit herangegangen sind, und diese auch auf eben jene Weise beendet haben.
Allen voran gilt das für Sänger und Aushängeschild Dee, der mit seiner, nach ihm benannten Truppe vor kurzer Zeit mit »Leave A Scar« ein echtes Hammeralbum kredenzt hat. Durch seine unverwüstliche, markante Stimme, weiß man zwar auf Anhieb, mit wem man es zu tun hat, stilistisch dagegen hat der Haudegen keineswegs die "Nummer Sicher" gewählt, sondern ein vergleichsweise heftiges, teilweise sogar regelrecht brutales Gerät eingespielt, das zudem mit einem absolut zeitgemäßen Klangbild überrascht.
Wie es dazu gekommen ist, und weshalb der immer noch überaus agile und umtriebige Mitt-60er intensiver denn je mit wesentlich jüngeren Musikern zusammengearbeitet hat, erzählte er uns am Telefon.

Dee Snider-Photo 1

»Leave A Scar« dürfte vom Titel her wohl als Programm zu sehen sein, wobei meiner Meinung nach auch "Kick Some Asses" zutreffend erscheinen würde. Da steckt eine eindeutige Message dahinter, oder irre ich mich da?

Nein, keineswegs. Und vielen Dank zunächst einmal dafür, daß meine Intention angekommen ist, haha. Klar war es meine Absicht, mit dem Titel eine solche Aussage zu tätigen. Ich würde aber auch dahinterstehen, wenn es nicht ganz so angekommen wäre. Bislang habe ich aber fast ausnahmslos positives Feedback und ähnliche Aussagen wie Deine dazu erhalten. Es scheint also, als ob wir alles richtiggemacht hätten.

Wer sind denn "Wir"?

Mit "Wir" meine ich meine Bandkollegen, und alle anderen, die ihren Beitrag dazu geleistet haben, daß »Leave A Scar» so ausgefallen ist, wie es ist. Die Band ist zwar nach mir benannt, weil ich es nicht für nötig empfunden habe, mich um einen Bandnamen zu kümmern, ein Soloalbum ist die Scheibe aber definitiv nicht geworden! Ganz im Gegenteil, vor allem Charlie Bellmore, der Gitarrist, kam immer wieder mit Riffs und Songideen, die mich förmlich umgehauen haben. Auch Jamey Jasta, den ich erneut für die Produktion gewinnen konnte, war davon begeistert. Außerdem habe ich alle Songs im Vorfeld auch noch meiner Tochter vorgespielt, um ihre Meinung dazu zu hören.

Warum denn das?

Weil ich ihren Geschmack zu schätzengelernt habe, und erst durch sie viele Bands der aktuellen Generation kennengelernt habe. Zwar sind alle meiner Kinder Hard Rock- und Heavy Metal-Fans, das Mädel fährt aber definitiv auf die härtesten und brachialsten Sounds ab. Zudem hat sie ein Faible für den Underground entwickelt, denn nicht einmal Jamey konnte mit allen Bands etwas anfangen, die ich ihm auf ihre Empfehlung hin, vorgestellt habe. Sie besitzt da offenbar ein gewisses Forscher-Gen, denn sie kommt fast wöchentlich mit neuen Bands und Alben an. Deshalb hat Jamey nach dem Fertigstellen einiger Tracks scherzhaft gemeint, wir sollten zunächst sie fragen, ob die Nummern auch etwas taugen. [lacht]

Mit dem eigentlich bei HATEBREED ins Mikro röhrenden Kollegen verbindet Dich inzwischen eine mehr als nur lose Arbeitsgemeinschaft, auf dem Album ist aber noch ein weitere Ikone der Extreme Metalszene zu hören. Wie kam es denn zur Kooperation mit dem "Corpsegrinder"?

Für viele meiner Altersgenossen klingt es zwar eher schräg, daß ich als 66-jähriger mit Musikerkollegen zusammenarbeite, die nicht nur meine Kinder sein könnten, sondern obendrein auch noch Sounds von sich geben, die man lapidar als "Krach" bezeichnet, doch das stört mich kein bißchen. Im Gegenteil, ich finde es sehr inspirierend! Im Prinzip war es auch mein Töchterchen, das mich dazu animierte, mal eine Nummer mit einem Death Metal-Sänger aufzunehmen. Daß ich dann auf Anhieb an einen der bekanntesten Stimmen aus der Szene gelangt bin, muß ich wohl als Glück betrachten. Offenbar war der Kerl aber noch vielmehr von den Socken als ich selbst, denn er hat auf meine Anfrage fast ehrfurchtsvoll geantwortet. Er war von Anfang an schwer davon begeistert, für ›Time To Choose‹ einen Gastbeitrag abzuliefern und hat sich obendrein als überaus netter Kerl entpuppt.
So ist es nun mal im Leben. Die Alten inspirieren die Jungen, und die wiederum animieren die Alten entweder zum Weitermachen - oder sogar dazu, mal etwas Neues zu probieren.
Mir ging es schon bei meinem ersten Zusammentreffen mit Jamey im Vorfeld von »For The Love Of Metal« so. Die Scheibe würde ohne Jamey wohl völlig anders klingen. Und so abwegig kann es ja auch nicht sein, mit jüngeren Kollegen etwas zu unternehmen. Ich gehe halt bloß nicht mit ihnen zum Angeln oder zum Bowling, sondern ins Studio. [lacht]

Dee Snider-Headline

Wobei "Angeln mit dem Corpsegrinder" sicher auch ein nette Erfahrung wäre... Egal, lassen wir das. Mit der Kollegenschaft mal eben so "ins Studio" zu gehen, dürfte pandemiebedingt aber wohl nicht ganz so einfach zu bewerkstelligen gewesen sein, oder?

Nein, absolut nicht. Dieses verf***te Virus! Zum Glück verfügen wir aber allesamt über einigermaßen gut ausgestattete Homestudios, so daß »Leave A Scar« relativ problemlos in Heimarbeit aufgenommen werden konnte. Jamey hatte wohl den meisten Aufwand, denn er bekam die Dateien aller Musiker zugeschickt, und mußte sich dann mit Volldampf an das "Puzzeln" der Spuren und die Produktion machen. Zum Schluß kam dann auch noch unser Drummer Nick Bellmore ins Spiel, denn er hat sich um das Mastering und den Mix gekümmert. Sehr zu meiner Zufriedenheit übrigens.

Hatte denn das Virus Einfluß auf die Musik selbst?

Auf jeden Fall! Einige Nummern wären unter "normalen Umständen" wohl nicht ganz so heftig ausgefallen. Wir mußten uns einfach irgendwie unseren Frust von der Seele spielen, und eine andere Möglichkeit die aufgestauten Aggressionen und die überschüssige Energie loszuwerden, gab es nun mal nicht. Wenn Du immer wieder aber mal eine Pause einlegen kannst, um vor Publikum zu spielen, während Du an Songs für ein Album schreibst, hat das definitiv eine ganz andere Energie. Noch deutlicher kommt mein Zustand während der gesamten Situation aber in den Texten zum Ausdruck. Und wahrscheinlich wäre ich unter anderen Umständen gar nicht so inspiriert gewesen, mich dermaßen unmißverständlich ausdrücken zu wollen.

Das merkt auf Anhieb. Schon der Einstieg ›I Gotta Rock (Again)‹ macht klar, wonach Dir der Sinn steht. Die Nummer läßt aber auch vermuten, daß Du sehr wohl bereits das Licht am Ende des Tunnels sehen würdest, richtig?

Absolut! Es kann doch nicht ewig so weitergehen! Ich es nämlich ehrlich gesagt schon gar nicht mehr erwarten, endlich wieder zur Normalität zurückzukehren. Das wird zwar leider noch einige Zeit dauern, mit mir wird aber danach definitiv wieder zu rechnen sein! Ich mache seit fast 50 Jahren Musik und bin immer noch voll motiviert, von daher sollte klar sein, daß ich mich noch lange nicht in Rente begeben werde und mich noch nicht einmal eine Pandemie stoppen kann! Auf einer Bühne zu stehen und mit meinen Fans eine Rockshow zelebrieren zu können, ist für mich immer noch eine der essentiellsten Inspirationsquellen überhaupt! Noch dazu, wo ich weiß, daß ja nicht nur ich mich mit meinen Kids über Musik austausche, sondern Tausende von Eltern auf diesem Erdball das ebenso tun. Nicht erst bei den letzten TWISTED SISTER-Shows konnte ich immer wieder beobachten, daß unterschiedliche Generationen an Fans zugegen waren. Klar haben da viele Väter ihre Kinder mitgebracht, und die wiederum den Großvater überredet haben, auch mitzukommen. So etwas gibt es wohl nicht in jedem Genre, im Metal aber mit Sicherheit. Wobei es natürlich durchaus auch sein kann, daß die Kinder die Erwachsenen mitnehmen, und nicht umgekehrt. [lacht]

Alles klar. Gibt es denn abgesehen vom neuen Album auch über weitere Aktivitäten etwas zu berichten? Da bei diversen Labels in letzter Zeit vermehrt auf Neuauflagen gesetzt wurde, könnte es ja sein, daß auch Du an einer solchen Geschichte arbeitest. Vielleicht sogar, um die beiden WIDOWMAKER-Scheiben aus den frühen 90ern wieder einigermaßen erhältlich zu machen?

Oh, ich arbeite nahezu ständig, mir wird definitiv nicht langweilig. [lacht] Ich weiß, ich bin mittlerweile in einem Alter, in dem für manche der Ausgang mit dem Dackel den Tag erfüllt, aber dazu gehöre ich nicht. Noch lange nicht! Ich fühl' mich gut und gesund, mir fehlt es an nichts, und ich bin bis in die Haarspitzen motiviert. Was brauche ich mehr? Zur Zeit bin ich unter anderem mit einer neuen Broadway-Geschichte beschäftigt, die mir sehr viel Spaß bereitet. Ich finde es übrigens verdammt cool, daß Du WIDOWMAKER erwähnst, denn diese Band hat leider nicht einmal zu Lebzeiten jenen Respekt erhalten, der ihr eigentlich zugestanden wäre. Völlig zu Unrecht, wie ich meine! Aber egal, ist nun mal so. Neuauflagen sind leider nicht ganz so einfach, denn dazu müßte ich mich zunächst um einige rechtliche Angelegenheiten kümmern. Wir haben damals alles dem Label und dem Management überlassen, was definitiv ein Fehler war. Eine Neuauflage wäre aber insofern eine spannende Sache, weil wir ja noch einiges an unveröffentlichtem Material in irgendwelchen Archiven gelagert haben müßten. Mal sehen, vielleicht geht da in Zukunft tatsächlich noch was.

Sicher "etwas gehen" wird wohl an der Livefront, und das sobald der nimmermüde Dee samt Gefolgschaft die Erlaubnis dazu erhält. Wir halten Euch diesbezüglich auf jeden Fall auf dem Laufenden und empfehlen als Einstimmung den intensiven Genuß von »Leave A Scar«!

http://www.deesnider.com/

Vorbereitung, Interview & Bearbeitung:
Walter Scheurer

Photo: Paul McGuire

Dee Snider im Überblick:
Dee Snider – Rock Station 7-"Living Underground"-Artikel (aus dem Jahr 2001)
Dee Snider – Online Empire 8-"Living Underground"-Artikel (aus dem Jahr 2001)
Dee Snider – Online Empire 89-Interview (aus dem Jahr 2021)
Dee Snider – Online Empire 54-"Metal Paper"-Artikel: »Mein Leben als Twisted Sister - I Still Wanna Rock« (aus dem Jahr 2013)
Dee Snider – News vom 03.01.2011
Dee Snider – News vom 13.03.2012
Dee Snider – News vom 27.05.2018
Soundcheck: Dee Snider-Album »Never Let The Bastards Wear You Down« im "Soundcheck Heavy, oder was!? 54" auf Platz 6
Playlist: Dee Snider-Liveshow Balingen, "Bang Your Head!!!"-Festival 30.06.2001 in "Jahrescharts 2001" auf Platz 2 von Stefan Glas
siehe auch: Musik von Dee Snider im Film "American Angels - Erben kann so sexy sein"
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