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Raimund Burke-Logo

Raimund Burke-Headline

Der Hamburger Raimund Burke gehört zweifelsohne zur oberen Riege der Saitenzauberer. Warum der Gitarrist trotzdem nicht im Rampenlicht steht und warum es kein "Normal" bei ihm gibt, erzählte er mir in einem Gespräch, das wir im Juli 2020 führten.

Heavy Metal goes Taoismus

Wegen der Corona-Krise "treffen" wir uns am Telephon, statt - wie beim letzten Mal - bei seinem Lieblingsitaliener. Als ich Raimund erwische, schließt er gerade einen weiteren Song seiner neuen CD »Raimund Burke's Spirit Of Lao Dan« ab und gibt mir damit die Vorlage zu unserem ersten Thema, denn bereits vor einiger Zeit erwähnte er etwas von einer Art Progressive Rock-Album, an dem er arbeitet.
"Na ja, sagen wir mal, es hat einen Prog-Touch," relativiert der Hamburger. "Wenn ich mir die bisherigen Songs anhöre, dann ist das kein reinrassiger Prog-Metal - was immer das sein mag - sondern es ist eben Raimund Burke. Die Songs sind teilweise etwas vertrackt aufgebaut und haben dadurch einen proggigen Anstrich. Aber es wird nicht nach DREAM THEATER oder ähnlichem klingen, obwohl man an einigen Stellen durchaus merkt, daß ich großer Fan vom Traumtheater bin. Das ist einige der wenigen Bands, die ich inzwischen überhaupt noch höre."

Raimund Burke-Photo

Die Entwicklung in Sachen Musikkonsum sieht Burke sehr kritisch: "Man hat doch kaum noch Zeit zum Musikhören, oder? Wer hört denn noch intensiv Musik? Das Problem ist die Masse an Erscheinungen. Da muß man sich erst einmal durcharbeiten, nachdem man im Vorfeld grob gut und schlecht getrennt hat. Allein mit dem Vorsortieren hast du dann schon einige Stunden verdaddelt. Ich hatte auch lange Zeit Spotify boykottiert, weil man schlichtweg überrollt wird."

Seit der ersten CD »Get It!« (die Arbeiten hierzu begannen im Jahr 2003 und zogen sich bis 2006 hin) spielt Raimund Burke seine Musik alleine ein. "Ich habe irgendwann festgestellt, daß ich alleine effektiver arbeite. Unabhängigkeit ist mir sehr wichtig, und meine Musik ist eben zu hundert Prozent Raimund Burke. Zugegeben, Gesang kann ich nicht - das habe ich versucht [lacht] - und bei den Texten bin ich ebenfalls auf Unterstützung angewiesen." Texte waren auch nicht im Fokus des Schaffens, denn bisher bestand der kreative Output des Gitarristen - bis auf wenige Songs - aus Instrumentalstücken.

''Raimund Burke's Spirit Of Lao Dan''-Design

Das wird sich auf »Raimund Burke's Spirit Of Lao Dan« allerdings grundlegend ändern, denn jeder Song des neuen Albums wird von einem anderen Sänger oder Sängerin gesungen. Raimund Burke hat eine Schar von Künstlern um sich versammelt, die den Metalfan anerkennend mit der Zunge schnalzen läßt.
"Sobald ich beim Komponieren eine Idee hatte, wer für den Gesang in Frage käme, kontaktierte ich denjenigen oder diejenige. Beim ersten Song hat beispielsweise Henning Basse von METALIUM und FIREWIND die Vocalparts bereits eingesungen. Oliver Hartmann von AT VANCE und AVANTASIA hat ebenfalls bereits ein Stück mit seiner Stimme veredelt, ebenso wie Roland Grapow von MASTERPLAN und HELLOWEEN. Der DIAMOND HEAD-Sänger Rasmus Andersen ist dabei, und Sebastian Zierow übernimmt bei zwei Stücken den Gesang. (Anm. d. Verf.: Sebastian hatte die Rolle des Udo Lindenberg im Musical "Hinterm Horizont".) Es sind auch Stücke auf dem Album, für die ich Sängerinnen vorgesehen habe, aber da bin ich noch auf der Suche nach den geeigneten Stimmen. Die SMACKBOUND-Sängerin Netta Laurenne steht ganz oben auf meiner Liste, und sie hat auch schon Interesse signalisiert. Allerdings fehlt noch der richtige Song."
Das neue Album ist als Konzeptalbum konzipiert und auch diesmal beschreitet Raimund Burke ungewöhnliche Wege: "Ich habe für die Lyrics ausschließlich die Texte vom 'Tao Te King' von Lao Tse übernommen und adaptiere sie passend zu den jeweiligen Songs. In dieser philosophischen Welt bewegt sich das Album.
Die Verse von Lao Tse kann man natürlich nicht umstellen, weil man sonst den Sinn verfremden würde. Das könnte nur Lao Tse selber. Deswegen muß ich die Songs an die Texte anpassen. Es sind ja auch keine Gesangstexte, daher muß ich aus den Versen Passagen herauspicken, die sich beispielsweise als Chorus eignen.
Das ist aber die Idee hinter dem Album. Ich hatte sogar versucht, selbst zu singen, aber das taugte nur zum Pilotgesang. Ich mache zwar alles selber, aber Texte schreiben kann ich einfach nicht. Und so kam ich auf die Idee mit den Lao Tse-Texten. Ich mache ja schon seit vielen Jahren Tai Chi, und das Tai Chi Chuang hat viel mit dem Taoismus zu tun, der wiederum auf dem 'Tao Te King' basiert.
Jeder Song wird mit traditionellen chinesischen Instrumenten miteinander verbunden. Die Lieder an sich sind dann aber wieder Metal. Die chinesischen Instrumente habe ich mit einer Software nachempfunden. Wenn man weiß, wie es klingen muß, funktioniert das sehr gut. Intros und Outros sind also jeweils in diesem Stil, und dazwischen gibt es metalmäßig auf die Zwölf."
Die Vorgehensweise bei der Erstellung der Lyrics erinnert an die akribische Analyse der Original-Glenn Miller-Aufnahmen bei der Arbeit zu Burkes Glenn Miller-Tribute-Album, über das wir weiter unten berichten. "Für das neue Album analysierte ich zuerst die Texte - die ich ja nicht verändern darf - und überlegte mir, welche Melodien dazu passen. Natürlich hatte ich vorher schon musikalische Ideen und Fragmente aufgenommen, von denen ich dachte, sie könnten später Verwendung finden. Meistens nur kurz und knackig mit einem kleinen Groove, damit ich es nicht vergesse. Dadurch habe ich einen Pool von Ideen. Dann schnappe ich mir einen Vers von Lao Tse und suche die passende Melodie. Dabei lasse ich mich von bestimmten Worten oder Satzmelodien inspirieren."

Raimund Burke-Gitarrenshot

Die Texte im chinesischen Original zu belassen wäre in der Umsetzung aber doch zu kompliziert geworden. Unterstützung bei der Übersetzung der Texte ins Englische bekam der Gitarrist von seinem Tai Chi-Lehrer Jan Silberstorff. "Er hatte mir eine zertifizierte Übersetzung empfohlen. Jan unterrichtet auch 'Tao Te King', hat die Texte analysiert und Bücher dazu geschrieben. Ich habe also zum Glück einen wirklichen Experten, den ich bei Unklarheiten fragen kann. Er spricht auch fließend Chinesisch. Deswegen haben wir beschlossen, das Intro in einem chinesischen Erzähler-/Sprecherton aufzunehmen. Den Text habe ich auch selber nochmal nachgesprochen. Also, obwohl ich keine Ahnung von Chinesisch habe, habe ich gerade ein chinesisches Intro gesabbelt.
Thai Chi und Chinesisch sind Jans Kernkompetenzen, und er kennt sich aus mit den ganzen philosophischen Gedankengängen und wie man bestimmte Texte interpretieren kann und verstehen muß. Er ist in diesem Bereich quasi eine wandelnde Enzyklopädie. Wirklich beeindruckend. Es ist ein großes Glück, daß ich - wenn ich schon eine solch beknackte Idee habe - auch einen Experten kenne.
Vor ein paar Tagen habe ich ihm ein Demo meines auf Chinesisch eingesprochenen Intros geschickt, und er war wirklich begeistert. Natürlich nicht von meinem Chinesisch, aber von meiner Stimme. Ich wollte den Text dramatisch interpretieren, und das kam gut rüber. Vielleicht spreche ich das Intro doch selbst, aber das geht natürlich nur mit Anleitung von Jan.
Jan hatte mir den Text eingesprochen, und ich ahme ihn nach. Trotzdem kann man viel verkehrt machen und selbst wenn man nur Nuancen falsch macht, hat man die Bedeutung unter Umstänen komplett verändert. Es ist wirklich sehr schwierig."

Noch sind die Arbeiten zum neuen Album »Raimund Burke's Spirit Of Lao Dan« nicht ganz abgeschlossen, und auch eine Videoproduktion steht noch an. Die Veröffentlichung des neuen Werkes ist für Ende 2021 geplant. Man kann sich auf ein außergewöhnliches Werk freuen.

Heavy Metal goes Unusual

Betrachtet man das bisherige Œuvre des Multiinstrumentalisten, wird ohnehin klar: Normal gibt es nicht, und jedes Album klingt anders. Insbesondere die Glenn Miller-CD sticht heraus, aber dazu später mehr.
"Nein, normal geht nicht. Das wäre mir zu einfach. Nicht, daß ich andere Musik oder Musiker als banal bezeichnen möchte. Auf keinen Fall! Aber ich möchte nichts machen, das es schon gibt. Ich brauche ein Special Event für ein Album, damit es mich reizt, und es muß mich wirklich herausfordern. Wie beispielsweise das Glenn Miller-Album. Ich hätte auch nicht nochmal eine reine Instrumentalplatte aufnehmen wollen.
Als es mit der Arbeit am neuen Album losging, hatte ich sogar versucht, selber zu singen, weil ich gewohnt bin, alles im Alleingang zu komponieren, arrangieren und einzuspielen. Aber Singen gehört nun einmal leider nicht zu meinen Kernkompetenzen."
Für den Solokünstler ist die Arbeitsweise eine andere, als im Verbund einer Band. Burke konzentriert sich beispielsweise immer nur auf einen Song und arbeitet nicht parallel an mehreren Stücken. "Nein, so könnte ich gar nicht arbeiten, weil ich dann völlig aus dem Fluß käme. Ich nehme mir immer nur einen Song vor, bis er komplett und letzendlich auch gemischt ist. Erst dann mache ich mit dem nächsten weiter.
Der Ablauf ist im Prinzip immer der Gleiche: Am Anfang steht ein Riff, der mir einfällt, manchmal auch ein Schlagzeuggroove. In letzterem Fall fange ich mit den Drums an und habe einen Groove, um den herum ich weiterarbeite. Dann wird so lange "erfunden" und gefeilt und gebogen, bis das Stück steht und durchkomponiert ist. Danach spiele ich den Song sozusagen ins Reine. Dafür fange ich in der Regel mit dem Baß an. Zum Komponieren nutze ich zwar einen Midi-Baß, weil es einfacher ist, aber die finale Version spiele ich mit einem echten Baß.
Als nächstes kommt das Schlagzeug. Für das Programmieren der Drumspuren benötige ich etwa zwei Tage. Ich spiele zwar selber ganz gut Schlagzeug, aber die Arbeit mit einer Drum-Software ist komfortabler, und es gibt inzwischen phantastische Soundfiles. Ich allerdings nutze keine vorgefertigten Patterns, sondern setze jeden Schlag selbst und arbeite sehr akribisch an der Schlagzeugspur, so daß sie am Ende absolut natürlich klingt. Danach kommen die Gitarren und eventuell Keyboards oder Klavier dran und zum Schluß der Gesang, wenn es welchen gibt." Klingt in der Theorie einfach, aber die Arbeit an einer CD zieht sich gut und gerne über zwei bis drei Jahre hin.

Folgenreiches Weihnachtsgeschenk

Drehen wir das Rad der Zeit zurück: Seine Jugend verbringt Raimund Burke in Lingen, und die Liebe zur Gitarre beginnt 1984 mit einem elterlichen Weihnachtsgeschenk, einer Konzertgitarre. Allerdings ist der Sechssaiter nicht das Wunschinstrument des damals 15-Jährigen, aber ein Schlagzeug ist den Eltern einfach zu laut. Trotzdem, der Funke springt über, und der Junge wechselt schon bald zur elektrischen Gitarre. Seinen Schlagzeugtraum erfüllt sich Burke Jahre später und entwickelt sich zu einem versierten Drummer.
Die alte Konzertgitarre hält er noch immer in Ehren, wenn auch nicht in der ursprünglichen Daseinsform. Heute dient sie als Deckenleuchte im heimischen Studio. Was für ein Glück, daß die Eltern ihrem Sprössling seinerzeit kein Klavier geschenkt hatten. Die Decke würde einer solchen Belastung wohl nicht lange standhalten.

INVERNESS [D]-Bandphoto

Kurz nachdem der junge Raimund die Konzertgitarre gegen ein elektrifiziertes Modell eingetauscht hat, gründet er mit seinen Kumpels Peter Breitenbach und Björn Eilen seine erste Band INVERNESS.
"Peter ist mein ältester Kumpel. Wir kennen uns seit der ersten Klasse. Wir haben so eine Art Hard Rock ohne Hard Rock gemacht," lacht Raimund. "Also eher weichgespült. Anfangs spielten wir nur Instrumentalstücke, bevor wir uns zum Trio verkleinerten. Der Bassist übernahm den Gesang, und ab da wurde es etwas härter.
Neben meiner Lehre zum Betriebsschlosser gab es damals nur noch die Band. Schließlich wollten wir ja Rockstars werden. [lacht] Betriebsschlosser ist ein schöner Beruf, war aber nicht immer gut für meine Finger. Ich erinnere mich, daß wir ein Festival in Lingen absagen mußte, weil ich kurz vorher mit meinen Fingern in eine Bohrmaschine kam. Man lernt als erstes, nicht mit der bloßen Hand die Metallspäne wegzuwischen, aber ausgerechnet zu dem Zeitpunkt hatte ich nicht den Handfeger benutzt. Ein fataler Fehler. Ich mußte dann eine Aluschiene tragen, mit der ich manchmal Slideguitar gespielt habe, aber das fanden die Ärzte nicht wirklich lustig."
1989 sammelt der Gitarrist erste Studioerfahrung. Im "Cottage"-Studio Osnabrück spielt er ein Demo mit Solostücken ein: »Sea Of Green«. Das Demo stößt in der lokalen Presse auf Interesse und Burke wird sogar mit Yngwie Malmsteen verglichen. Raimund ist ehrgeizig und schreibt sich 1990 in Hamburg an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst ein, um sein Spiel auf ein neues Level zu heben. Er schließt sich den Osnabrücker Hard Rockern KING COCKROACH an und wechselt dann zur Fusion Rock-Band ZUMPF, deren Musik teilweise so seltsam klingt, wie es der Bandname es vermuten läßt.

MARTELLI-Bandphoto

1993 zieht Burke nach Hamburg und steigt bei der Hamburger Hard Rock-Band MARTELLI, der Combo des ehemaligen MYDRA-Sängers André Martelli, ein. Es bleibt sogar Zeit für ein kleines Nebenprojekt: Mit Markus Wolter begibt sich Raimund Burke auf eine Akustiktour und eröffnet für Mickey Reinke.
Alles läuft prächtig, bis eine Nervenkrankheit den musikalischen Ambitionen einen jähen Rückschlag bereitet. Durch eine Verletzung des Nervus Ulnaris, landläufig und fälschlicherweise als "Musikantenknochen" bezeichnet, wird die Versorgung zur linken Hand abgeschnitten, was bei zwei Fingern zu Muskelschwund führt. "Durch die Beschädigung des Nervs hatte ich eine Art Krallenhand. Mit einer OP wurde dann der Nerv am Ellenbogen verlegt. Für die erste Zeit baute ich mir eine Art Prothese aus einem abgeschnittenen Handschuh und einem Pizzakarton. Das war ein erster Notbehelf, und ich konnte wenigstens die Finger aufs Griffbrett legen und - mehr schlecht als recht - einfache Sachen spielen."
Mehrere Jahre dauert es bis die Nerven Millimeter für Millimeter nachgewachsen sind und die Spielhand wieder eingesetzt werden kann. Mit Hilfe eines Orthopäden bastelt sich Burke Schienen, die es ihm in dieser Zeit ermöglichen, zumindest mit zwei Fingern zu spielen.
Im Jahr 2000 wird der Musiker wieder aktiv, jedoch nicht an der Gitarre, sondern als Schlagzeuger der Hamburger Coverband INTO THE VOID, bevor er die Schlagzeugstöcke wieder durch das Gitarrenplektrum ersetzt. 2010 erbt Raimund Burke das Drumset des verstorbenen ZUMPF-Drummers, das er bis heute leidenschaftlich spielt. Für seine CDs nutzt der Wahl-Hamburger jedoch eine Drum-Software, die er allerdings so akribisch bearbeitet, daß man keinen Unterschied zu einem realen Drummer hört.

Raimund Burke-Photo

Über seine Zeit bei INTO THE VOID erzählt Raimund Burke: "Zu diesem Zeitpunkt konnte ich zwar schon wieder ganz gut Gitarre spielen, aber ich hatte die Jahre meiner Krankheit größtenteils mit Schlagzeugspielen überbrückt, was ja schon immer mein großes Hobby war. Wenn man die Gitarre als Profession betrachten möchte, ist das Schlagzeug mein Hobby. (Anm. d. Verf.: Die Bezeichnung "Hobby" wird den Fähigkeiten vom Raimund nicht annähernd gerecht.)
Die Band hatte mich seinerzeit gefragt, ob ich nicht Lust hätte, als Drummer einzusteigen, und ich fand die Idee durchaus reizvoll. INTO THE VOID hatten Songs gecovert, die in Richtung Doom Metal gingen. KYUSS beispielsweise oder die langsamen, schweren Songs von METALLICA. Eigentlich war das nicht meine Musik, aber aus Sicht des Drummers in mir war das wieder eine gute Sache. Tatsächlich machen mir beim Schlagzeugspielen andere Musikarten Spaß als beim Gitarrespielen. Als Gitarrist wäre ich nicht in die Band eingestiegen. Das Schöne bei INTO THE VOID war, daß ich mich in der Gruppe unterordnen konnte, als Teil des Bandgefüges fungierte und einfach nur Spaß hatte. Als Gitarrist hätte das nie funktioniert."
2003 beginnt Raimund Burke mit der Arbeit an seiner ersten CD »Get It!«, einem reinen Instrumentalalbum. Die CD erscheint 2006 im Eigenvertrieb - mit der Unterstützung des Labels von Stefan Groß von LÜDE UND DIE ASTROS - und begeistert sowohl Hörer, als auch Kritiker. Doch der Gitarrist ist mit dem Sound und dem Mixing nicht zufrieden und spielt 2012 eine neue Version des Albums ein.
2007 nimmt Raimund Burke im eigenen "R&B Home Studio" sein zweites Soloalbum »Into My Arena« in Angriff. Der Titel ist eine Verbeugung vor Michael Schenker, der 1980 auf seinem ersten Soloalbum das grandiose Instrumental ›Into The Arena‹ veröffentlichte. Das Mastering von Raimund Burkes "Arena" erfolgt im "Docmaklang Studio" Osnabrück, und Ende 2008 wird die CD veröffentlicht. Auch diesmal sind die Kritiker voll des Lobes, und TOTO-Gitarrist Steve Lukather kürt den Hamburger auf seiner Website als "New Talent".

Raimund Burke-Photo

2010 veröffentlicht Raimund Burke »Christmas Classics«. Obwohl er die CD eher als Nebenprodukt sieht, hat die Produktion des Weihnachtsalbums fast ein ganzes Jahr in Anspruch genommen. "Sich im Frühling oder Sommer mit ›I'm Dreaming Of A White Christmas‹ und ähnlichem zu beschäftigen war schon etwas seltsam", lacht Burke. Pünktlich zum Weihnachtsfest erscheint das Album. Aufwendig produziert mit einem Pappschuber, der die eigentliche CD-Hülle wie Geschenkpapier umhüllt.

Heavy Metal goes Big Band

Daß "Außergewöhnlich" das "Normal" bei Raimund Burke ist, stellt der Gitarrist spätestens mit seinem Glenn Miller-Projekt unter Beweis, das in der Rockwelt seinesgleichen sucht. »The Raimund Burke Orchestra - A Rockin' Tribute To Glenn Miller« heißt das Album, das 2016 erscheint und sowohl in der Fachwelt als auch unter Metalfans und Liebhabern von Big Band-Musik sehr große Anerkennung findet. Mehr als einmal fragt sich der Hörer, ob hier denn tatsächlich keine Bläser zum Einsatz kommen.
"Die CD ist zu hundert Prozent bläserfrei und ist zudem hundert Prozent Burke. Na ja, sagen wir sechsundneunzig Prozent, weil Eva Lüderitz, Nina Majer und Wayne Morris noch ihren phantastischen Gesang beigetragen haben." Der Gesang der Gastmusiker ist tatsächlich das Sahnehäubchen auf diesem Meisterwerk.

RAIMUND BURKE ORCHESTRA-Singleshot: Raimund Burke

Doch der Weg bis zur Veröffentlichung ist lang: Die Idee zu einem Glenn Miller-Tribute-Album hatte Raimund Burke bereits 1994, doch scheiterten die ersten Anläufe an den technischen Voraussetzungen jener Zeit. Nachdem der Gitarrist mehrere Jahre durch die Entzündung seiner linken Hand gitarrentechnisch außer Gefecht gesetzt war, holt er das Projekt 2014 wieder aus der Schublade.
"Um mich bezüglich der Songrechte abzusichern, hatte ich das ORIGINAL GLENN MILLER ORCHESTRA in den USA angeschrieben und ein Demo mitgeschickt, um deutlich zu machen, daß mein Projekt Niveau hat und ich die Stücke nicht 'verunglimpfen' würde. Es war auch Voraussetzung, daß es sich bei meiner Bearbeitung nicht um Orchesteraufnahmen handelt. Es gibt weltweit nur einige wenige Orchester, die die Lizenz haben, die Stücke in Orchesterform darzubieten.
Ursprünglich sollte die CD "Glenn Miller Rocks" heissen, aber das wurde nicht gestattet, weil mein Name auf dem Albumcover größer sein mußte, als der von Glenn Miller. Die Amerikaner schlugen mir den Titel »The Raimund Burke Orchestra Performs A Rockin' Tribute To Glenn Miller« vor, den ich auch übernommen habe. Raimund Burke wurde etwas größer als Glenn Miller geschrieben und somit war die rechtliche Seite geklärt. Der Leiter des deutsch-holländischen ORIGINAL GLENN MILLER ORCHESTRAs, Wil Salden, war sehr begeistert von meinem ›In The Mood‹-Video. In dieser Zeit spielte das ORIGINAL GLENN MILLER ORCHESTRA auch ein Konzert in der Hamburger "Laeiszhalle", was ich mir natürlich nicht entgehen ließ. Es war aber schon etwas kurios, denn als langhaariger Zwei-Meter-Mann fiel ich 'etwas' aus dem allgemeinen Publikumsrahmen. Zum Glück hat meine Frau das Gesamtbild wieder etwas korrigiert. [lacht]
Bei der Auswahl der Lieder habe ich zum einen meine Lieblingsstücke ausgesucht und natürlich auch die bekanntesten Songs. Ich hatte, wenn ich ein Original hörte, recht schnell die Burke-Version im Ohr und konnte ganz gut einschätzen, welche Stücke als Rockversion funktionieren würden. Ich hatte mehr zur Auswahl, als letztendlich auf der CD gelandet sind, aber 15 Stücke empfand ich als ausreichend. [lacht]
Die Arbeit am Glenn Miller-Album hat sich, inklusive der sehr aufwendigen Videoproduktion, über zweieinhalb Jahre hingezogen. Ende 2016 wurde die CD veröffentlicht, und ich habe etwa ein halbes Jahr drangehängt und - im Rahmen meiner Möglichkeiten - viel Werbung für das Album gemacht. Danach gönnte ich mir eine sehr lange Pause - bis Mitte 2019 - auch, um wieder von der Glenn Miller-"Schiene" herunterzukommen. Tatsächlich habe ich mich in dieser Zeit aus dem gesamten Bereich Hard Rock zurückgezogen."
Die Produktion des Albums und des Videos zu ›In The Mood‹ beschreibt Raimund Burke sehr anschaulich im "Making Of" Video, daß bei YouTube zu finden ist ("'Making Of' of The Raimund Burke Orchestra Performs A Rockin' Tribute To Glenn Miller"). In diesem Video erzählt der Gitarrist: "Die Idee war, nicht nur ein Remake der größten Hits von Glenn Miller mit elektrischen Rockgitarren zu produzieren, sondern die Songs in ein zeitgemäßes Gewand zu kleiden. Dafür habe ich die Stücke mit einem Progressive Rock-Schlagzeug unterlegt. Trotzdem war mein Anspruch, so nah wie möglich am Original zu bleiben. Insbesondere die Soli sollten eins zu eins abgebildet werden, und das Wesen jedes Instruments der Originalaufnahmen mußte fühlbar bleiben, um die Stimmung des Originals einzufangen."

RAIMUND BURKE ORCHESTRA-Photo

Burke muß jeden einzelnen Song regelrecht sezieren und die einzelnen Big Band-Instrumente heraushören oder durch Ausschlußverfahren analysieren. Zwar gibt es auch Noten für die Stücke, aber die Arrangements sind verschieden, und Notenlesen gehört nicht zu den großen Kompetenzen des Saitenkünstlers. Jedes Originalinstrument wird mit der passenden Gitarre reproduziert, damit sie im Gesamtsound unterscheidbar bleiben. Zu diesem Zweck stockt Burke seine ohnehin nicht kleine Gitarrensammlung nochmals ordentlich auf.
"Das war notwendig, weil ich möglichst viele Sounds brauchte - im Prinzip für jedes Originalinstrument eine andere Gitarre - um einen transparenten Sound zu bekommen.
Für die Saxofone habe ich die Stratocasters verwendet und zwar jeweils den Hals-Pickup, weil die schön weich klingen. Die Trompeten und Posaunen habe ich mit meinen Les Pauls eingespielt. So konnte man die Stimmen gut unterscheiden und mit Hilfe des Kemper Profiling Amp konnte ich auch für jede Gitarre einen eigenen Verstärkersound kreieren. Hätte ich nur ein oder zwei Gitarren zur Verfügung gehabt, wäre das Ganze ein einziger Soundbrei geworden. Im Video zu ›In The Mood‹ sieht man sehr schön die einzelnen Gitarren, die ich eingesetzt habe."
Die Idee, Posaune, Trompete oder Saxofon mit elektrischen Gitarren nachzuempfinden, war in der Umsetzung schon schwierig genug, bei den Klarinetten mit ihren Obertönen war es jedoch eine ganz besondere Herausforderung. Für das Klarinettenfeeling mußte Burke die entsprechenden Gitarrenparts nach der Aufnahme hochpitchen - also die Notenhöhe anpassen.
Natürlich war die lange Produktionszeit nicht frei von Problemen und Stolpersteinen.
"Ich hatte 2014 mit ›In The Mood‹ angefangen", berichtet Burke. "Dann hatte ich aber mein Equipment umgestellt und bin weg von meinem echten Marshall-Röhrenverstärker. Ich hatte mir Jahre zuvor eine Isolationsbox mit drei eingebauten Mikrofonen für den Marshall-Lautsprecher gebaut, um die Nerven meiner Nachbarn zu schonen. Aber 100 Watt Marshall-Power bekommt man auch mit der besten Iso-Box nicht in den Griff. Das klang zwar schon recht gut, aber es war einfach nicht geil genug. Letztendlich war der Sound zu "dosig" und "mumpfig", und ich mußte immer sehr viel nachbearbeiten.
Dann kam der Kemper Profiling Amp auf den Plan und hat alles verändert. Der Gitarrensound, den man mit diesem Gerät erzeugen kann, hat mich einfach umgehauen. Und mit diesem neuen Equipment konnte ich das Glenn Miller-Album in der Qualität einspielen, die mir schon immer vorschwebte. ›In The Mood‹ habe ich am Ende der Produktion extra noch einmal neu eingespielt."

Raimund Burke-Gitarrenshot

Die Aufnahmen waren extrem aufwendig: "Für jeden Song habe ich zwölf Gitarren verwendet: sechs Saxofone, sechs Trompeten und Posaunen, so ähnlich wie auch eine Bigband aufgebaut ist. Ich weiß noch, daß ich beim elften Lied, ›String Of Pearls‹, einen richtigen Durchhänger hatte. Für jeden Song habe ich vier bis sechs Wochen benötigt: Analyse der einzelnen Stimmen und Aufnahmen mit den entsprechenden Gitarren. Das war richtig heftig.
Eines der schwierigsten Stücke war die Ballade ›At Last‹, weil es eine große Herausforderung war, die Dynamik und das Gefühl, das bei diesen Stücken von der Big Band transportiert wird, mit verzerrten Gitarren zu vermitteln. Es war eine unglaubliche Arbeit, aber durch den Gesang von Eva Lüderitz und Wayne Morris wurde dieser Song das Highlight des Albums. Die Arbeit und Energie, die ich in diesen Song gesteckt habe, haben sich absolut ausgezahlt.
Der sechzehnte Song ist ein Bonustrack des Stücks ›Measure For Measure‹. Diesen Song kannte ich vorher nicht, war völlig geflasht, als ich ihn zum ersten Mal hörte und dachte 'Was ist denn mit den Jungs los, die drehen völlig durch?'. Dieses Stück ist absolut Hardcore, quasi Speed-Swing, und mußte natürlich auf mein Album. Damit der Hörer einen Vergleich zwischen dem Original und meiner Version ziehen kann, habe ich ›Measure For Measure‹ nochmal als eine Art Crossfade-Version an das Ende der CD gepackt. Das heißt, man hört immer abwechselnd das Original und meine Version. Das ist allerdings ein Hidden Track."
Welch hohen Anspruch Raimund Burke an sich und seine Musik hat, zeigt sich auch beim Schlagzeug. "Manchmal habe ich mit meinem realen Schlagzeug ausprobiert, ob das, was mir vorschwebte, überhaupt umsetzbar ist. Dabei habe ich mir die wirklich guten Schlagzeuger als Vorbild genommen und mich immer gefragt, ob beispielsweise ein Simon Philips oder ein Terry Bozzio das spielen könnte, was ich mir vorstelle.
Ich hatte das Projekt ja bereits 1994 gemeinsam mit dem Produzenten Peter Wolf (Anm. d. Verf.: Produzent unter anderem von Frank Zappa, SURVIVOR und SANTANA) zum ersten Mal in Angriff genommen, und seinerzeit hätten wir natürlich ein echtes Schlagzeug mit einem "lebenden" Drummer verwendet und keine Drum-Software, weil die Entwicklung in diesem Bereich noch nicht so fortgeschritten war, wie heute. Peter Wolf schlug vor, Terry Bozzio zu fragen (Anm. d. Verf.: einer der weltbesten Schlagzeuger mit einem breitgefächertem musikalischen Spektrum. So spielte er unter anderem für DURAN DURAN, Jeff Beck, Steve Vai, Don Dokken, Dweezil Zappa und THE KNACK). Ich war natürlich völlig aus dem Häuschen, weil Terry zu meinen Lieblingstrommlern gehört. Letztendlich hatte sich das Projekt nach anderthalb Jahren aus Termingründen zerschlagen. Aber das war schon ein sehr geiler Ansatz.

Raimund Burke-Photo

Dann kam das Problem mit meiner linken Hand, das mich mehrere Jahre außer Gefecht setzte, und schließlich wollte ich das Projekt im Alleingang produzieren. Ich habe mich bei der Produktion des Albums immer gefragt, was Terry Bozzio hätte spielen können. Die Meßlatte habe ich also sehr, sehr hochgelegt.
Die Idee war, die Drums als verschachteltes Progressive Metal-Schlagzeug zu konzipieren, im starken Kontrast zu den anderen Instrumenten, die sich ja so exakt wie möglich an das Original halten. Das Schlagzeug war sozusagen die Kür, bei der ich so richtig die Metal-Sau rauslassen konnte.
Beim Song ›Measure For Measure‹ habe ich mich so richtig ausgetobt. Das sieht man sehr schön im Making Of Video. Für die CD habe ich das Schlagzeug - wie bei allen Songs - programmiert, was viele Hörer sehr überrascht hat, weil das Ergebnis von einem "richtigen" Schlagzeuger nicht zu unterscheiden ist."

Raimund Burke-Photo

Zum Ende des Interviews hat Raimund noch eine sehr schöne Anekdote parat: "Ich war 19 (Anm. d. Verf.: also etwa im Jahr 1988) und hatte mich seinerzeit als Gitarrist bei Ronnie James Dio beworben. Das machte man damals noch analog, das heißt ich habe eine Audiokassette in einen Briefumschlag gesteckt und an das Management geschickt. Ein paar Wochen später bekam ich einen Anruf, den ich aber überhaupt nicht einordnen konnte. Alles war verrauscht und mit einem Echo, wie es damals bei Übersee-Telefonaten typisch war. Irgendjemand am anderen Ende der Leitung erzählte etwas von Dio. Mehr verstand ich aber mit meinem eher rudimentären Englisch nicht und legte wieder auf. Eine Stunde später dasselbe Spiel, und ich legte wieder auf, weil ich nichts verstand und dachte, irgendwelche Kumpels wollten mich auf den Arm nehmen. Erst sehr viel später fiel mir ein, daß das nicht sein konnte, weil ich niemandem von dieser Bewerbung erzählt hatte. Aber da war es zu spät. Ob es Dio selbst war oder ein Mitarbeiter... Ich weiß es nicht. Na ja... Shit happens. Der 17-jährige Engländer Rowan Robertson hatte den Posten dann ergattert. Aber vielleicht hat es auch ein Gutes. Wer weiß was passiert wäre, wenn ich mit meinem schlechten Englisch in den USA gelandet wäre, zumal ich mit diesen ganzen Metal-Klischees überhaupt nichts anfangen kann.
Alles in allem kann ich sagen, daß ich sehr glücklich mit meinem Leben bin, so wie es verlaufen ist. Also: Alles richtig gemacht."
Schöner kann man ein Interview nicht beenden.

http://www.raimundburke.de/

Vorbereitung, Interview & Bearbeitung:
Thomas Heyer

Raimund Burke im Überblick:
Raimund Burke – Christmas Classics (Do It Yourself-Review von 2010 aus Online Empire 45)
Raimund Burke – Christmas Classics (Do It Yourself-Review von 2010 aus Y-Files)
Raimund Burke – Get It (Do It Yourself-Review von 2005 aus Online Empire 25)
Raimund Burke – Into My Arena (Do It Yourself-Review von 2009 aus Online Empire 39)
Raimund Burke – Online Empire 46-Interview (aus dem Jahr 2011)
Raimund Burke – Online Empire 86-Interview (aus dem Jahr 2021)
Playlist: Raimund Burke-Album »Christmas Classics« in "Jahrescharts 2010" auf Platz 5 von Thomas Heyer
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