An sich wartet der BLIND GUARDIAN-Fan voll Vorfreude auf das - grob geschätzt und hoffentlich - irgendwann im Laufe dieses noch jungen Jahres erscheinende Orchester-Album der Krefelder. Die jedoch lassen zuvor einmal ihre ruhmreiche Vergangenheit revuepassieren und kredenzen ihrer Klientel eine umfangreiche "Best Of"-Kollektion. Auf »Memories Of A Time To Come« das als Doppel-Whopper bzw. als Triple-Decker in der "Limited Edition" erscheinen wird, rufen die Herren die ersten 25 Jahre ihrer Existenz jedoch keineswegs nur anhand von ausgewählten Songs erneut in Erinnerung, sondern lassen uns ihre Sahneteile in zum Teil neu adaptierten, zumindest aber überarbeiteten Versionen zu Gehör kommen.
Typisch BLIND GUARDIAN kann man nur sagen, denn "halbe" Sachen hat diese Band noch nie abgeliefert, wie uns auch Sänger Hansi Kürsch im Interview bestätigt.
Diese Compilation kommt wohl ein wenig überraschend für die Fans, denn an sich haben die Euch irgendwo in einem Studio versteckt vermutet, damit Ihr Euer Orchester-Projekt vorantreiben könnt. War denn ein schon wenig Abwechslung nötig?
Ganz so schlimm ist es noch nicht. Von "Lager- oder Studiokoller" kann noch lange nicht die Rede sein. Dennoch haben wir unser 25-jähriges Jubiläum zum Anlaß genommen, um einmal eine Retrospektive zu wagen. Daß dabei alle anderen Tätigkeiten ein wenig in den Hintergrund gedrängt wurden, hat sich erst im Laufe der Zeit entwickelt. Doch für unsere Fans soll dieses Album ein Präsent für ihre langjährige Treue darstellen, und von daher war uns klar, daß wir das bestmögliche Ergebnis benötigen. Daher ist das Stück auch recht umfangreich ausgefallen, schließlich wollen wir auch etwas wirklich Feines zu bieten haben.
Viel falsch machen kann man bei einem "Best Of-Album" zwar ohnehin nicht, aufgrund Eures umfangreichen Backkatalog kann ich mir aber durchaus vorstellen, daß man sich über die Auswahl der Songs dennoch nicht unbedingt einig sein wird.
Warum soll es unseren Fans anders gehen als uns selbst? Die Auswahl selbst war nämlich in der Tat das Aufwendigste im Vorfeld. Zwar hatte - nach den ersten Ideen, ein solches Album in Angriff zu nehmen - jeder von uns für sich eine Art Vorauswahl getroffen, doch als es daran ging, sich untereinander abzustimmen und auf Songs zu einigen, war das alles andere als einfach. Glaub' mir, im Nachhinein gesehen war es einfacher und weniger aufreibend, die Produktion als solche zu absolvieren als einen gemeinsamen Nenner zu finden.
Warum habt Ihr denn einen solchen Aufwand überhaupt getrieben? Hätte nicht eine simple Zusammenstellung auch gereicht?
Nein, denn wenn wir eine Compilation aus dem Ärmel geschüttelt hätten, die "nur" aus einer Aneinanderreihung von alten Tracks bestanden hätte, wäre das dem Anlaß nicht gerechtgeworden, und noch viel weniger hätten wir ein solches Werk mit gutem Gewissen auch unseren Fans zumuten wollen. Gerade deshalb waren wir uns sehr schnell einig, daß es nicht um so ein Art "Plattenfirmen"-Zusammenstellung handeln darf, sondern mehr dabei herauskommen muß. Und daß es die Songs auch verdient haben, nochmals bearbeitet zu werden, ist eine andere Sache. Im Endeffekt hatten wir Riesenspaß an der Sache, und daß wir uns dabei sehr wohl ganz gut von unserem, doch etwas aufwendigeren momentanen Projekt entspannen konnten, war ein überaus positiver Nebeneffekt.
Mal ganz ehrlich, hättest Du - oder auch Ihr als Band - jemals gedacht so lange in dieser Branche aktiv zu sein?
Hmmm, knifflige Frage. Nicht nur weil ein Blick in die Zukunft unmöglich ist, auch weil wohl kaum ein Mensch in dem Alter, in dem wir damals waren, ernsthaft daran denkt, was eventuell in 25 Jahren sein wird. Auf der anderen Seite möchte ich aber sehr wohl festhalten, daß es bei BLIND GUARDIAN schon seit den Anfängen so ist, daß wir uns zu 100 Prozent einig sein mußten, was bei und mit dieser Band geschieht. Von daher sind wir uns auch ziemlich sicher, daß alles, was wir als Band unternommen haben, Hand und Fuß hatte. Nicht zuletzt deshalb konnten wir auch mit gutem Gewissen den Blick zurück wagen.
Gibt es denn etwas, das Du oder Ihr gerne anders gemacht hättet?
Wenn wir nur von den Songs als solchen sprechen, dann definitiv nicht! Die Entwicklung der Band über all die Jahre entspricht nämlich sehr wohl unseren Vorstellungen, und deshalb stehen wir auch voll und ganz hinter allen unseren Werken. Noch nicht einmal an der Reihenfolge, in der unsere Scheiben erschienen sind, haben wir etwas auszusetzen, denn auch diese spiegelt unseren Reifeprozeß gut wider.
Im Nachhinein betrachtet hätte ich mich aber durchaus schon früher darauf einlassen können, nur noch zu singen und den Baß an den Nagel zu hängen. Ich denke, dadurch hätte ich meine Stimme ein bißchen früher zur "Reife" bringen können, und außerdem fühle ich mich auf der Bühne mittlerweile dermaßen "befreit", daß ich mir es überhaupt nicht mehr vorstellen kann, wie ich diese Doppelbelastung so locker hab' bewältigen können. Auch was unsere Geschäftsangelegenheiten betrifft, würden wir aus heutiger Sicht vielleicht manche Entscheidungen nochmals überdenken, ehe wir uns auf etwas einlassen, doch ansonsten gibt's in der Tat kaum etwas, das wir anders hätten machen müssen.
Das klingt nach völliger Zufriedenheit und heißt wohl auch, daß Ihr entspannt nach vorne blicken könnt?
In gewisser Weise schon, heißt aber keineswegs, daß wir uns jetzt zur Ruhe setzen würden oder so. Auch an unserer professionellen Einstellung, die man uns mancherorts als "übertriebenen Perfektionismus" unterstellt, wird das nichts ändern. Im Gegenteil, denn gerade im Hinblick auf das Orchesterprojekt wird es wohl sogar nötig sein, noch ein wenig akribischer zu arbeiten. Und genau das ist der Punkt, an dem wir uns auch noch weiterentwickeln wollen. Man kann also durchaus sagen, daß wir 25 Jahre gebraucht haben, bis wir die Reife für ein solches Unterfangen erlangen konnten.
Dem Anlaß entsprechend wollen wir dem auch gar nicht viel hinzufügen, außer der Band selbstverständlich auch weiterhin alles nur erdenklich Gute zu wünschen und auf die nächsten 25 Jahre mit ihr anzustoßen!
http://www.blind-guardian.com/
Photos: BLIND GUARDIAN-Archive [Photo 1-3], Hans-Martin Issler [Photo 4]