Während RAGE gegen Ende der 90er Jahre Alben in klassicher Ausrichtung mit Orchesterbegleitung veröffentlichten und zudem auch in üppiger Besetzung auf den Bühne dieser Welt zu Gast waren, konnte man auf den letzten Studiowerken eher eine Rückbesinnung auf den Metal nachvollziehen. Dieser ist zwar, nicht zuletzt aufgrund der konstanten und spieltechnisch brillanten Besetzung, Peter "Peavy" Wagner (b, v), Victor Smolski (g) und Mike Terrana (d) progressiver ausgefallen als je zuvor, aber dennoch frei von Orchesterpassagen.
Auf ihrem mittlerweile siebzehnten (!) Studioalbum »Speak Of The Dead« verbinden RAGE nun ihre Orchesterphase mit dem progressiven Metal der letzten Jahre. Herausgekommen ist ein üppiges Werk, das mit der ›Suite Lingua Mortis‹ beginnt. Dabei handelt es sich um eine achteilige Komposition, die an die "klassische Phase" von »Lingua Mortis« erinnert. Der zweite Teil von »Speak Of The Dead« enthält sieben "konventionelle" Songs, die an Progressivität alles bisher von RAGE gehörte in den Schatten stellen und so gesehen das Werk perfekt abrunden.
Peavy kommentierte die Entstehung von »Speak Of The Dead« sowie den Zustand der Band wie folgt:
Es war nicht beabsichtigt, auf diese Weise ein Album zu konzipieren. Allerdings wollten wir weder die "Suite" noch irgendeinen der anderen Songs weglassen. Daher repräsentiert »Speak Of The Dead« alles, wofür RAGE in den letzten Jahren gestanden haben und nach wie vor stehen. Man merkt die deutliche kompositorische Steigerung innerhalb der stabilen Besetzung und durch einen Mann wie Victor in der Band kommt man an klassischer Musik ohnehin nicht vorbei.
Das Orchester stammt wohl nicht zuletzt deshalb ebenso wie Victor aus Weißrußland?
Genau. Nicht nur, daß es immer noch eine Frage des Budgets ist, wo man ein Orchester für derlei Angelegenheiten engagieren kann, Victor hat auch sehr gute Beziehungen in seine Heimat und zu diesem Orchester im speziellen. Von daher ergab sich die Möglichkeit, mit dem Symphonieorchester der Stadt Minsk aufzunehmen. Die "Suite" stammt im übrigen zur Gänze aus der Feder von Victor und ich gestehe, schwer beeindruckt gewesen zu sein, als er mir das Teil zum ersten Mal präsentierte. Es wäre wohl eine Schande, einen dermaßen talentierten und perfekten Musiker im Line-up zu haben und dessen Fähigkeiten zu ignorieren. Victor ist aber nicht nur einer der fähigsten Gitarristen, mit denen ich jemals spielen durfte, er ist ein wahres Allround-Genie. Keiner versteht es besser, Songs zu arrangieren als er. Für ›Turn My World Around‹, einen weiteren Song des Albums, hat er auch das Cello eingespielt und das in einer Zeit, in der ich nicht einmal einen Cellisten anrufen hätte können, ob er nicht Zeit und Lust hätte bei RAGE auszuhelfen.
Beeindruckend kann man da nur sagen. Nicht minder imposant ist auch ›Full Moon‹ ausgefallen, ein Song, der in nicht weniger als fünf Sprachen eingesungen wurde. Was hat es damit auf sich?
Das hat sich im Laufe der Zeit so ergeben und wir dachten, daß es Sinn machen würde, zumal ja sämtliche Sprachen in Regionen dieser Erde gesprochen werden, in denen RAGE auf den Bühnen präsent waren und es auch in Zukunft sein werden. Ich bin sicher, daß dieser Song live ein absoluter Hammer werden wird!
War es denn schwierig für dich, in russischer, spanischer und japanischer Sprache zu singen?
Ich habe mir die Zeilen von Bekannten zuerst mehr oder weniger sinngemäß übersetzen und einsingen lassen, was schon eine recht unterhaltsame Geschichte war. Außerdem hatte Victor sichtlich seinen Spaß daran, mich in russischer Sprache zu hören. Es muß recht amüsant für ihn geklungen haben, was ich mir gut vorstellen kann.
Zu einem anderen Song der Scheibe, nämlich zu ›No Fear‹ wurde auch noch ein Video gedreht.
Auch wenn es wohl hier bei uns recht schwierig sein wird, das Stück in den sogenannten "Musiksendern" zu sehen, machte die Produktion Sinn. ›No Fear‹ wird nämlich in einem Psychothriller mit dem Titel "Ludger's Fall" als Soundtrack zu hören sein und wir haben im Gegenzug Sequenzen des Streifens in unserem Video verewigen dürfen. Der Song an sich sollte vor allem live in einem guten Kontext zu unseren alten Standards stehen.
Generell kann man sagen, daß die "orchester-freien" Songs zwar progressiver als zuletzt klingen, nichtsdestotrotz aber auch eine Spur härter ausgefallen sind.
Genau. Damit kann ich mich voll und ganz identifizieren. Schließlich haben wir unsere "feine Klinge" schon in der "Suite" gezeigt, weshalb wir im Endeffekt alle Freiräume hatten, um in den anderen Songs kräftig abzurocken. Genau deshalb, also weil wir das Album mit der "Suite" beginnen, klingt der "Rest" wohl auch so heftig. Ich denke, damit sollten wir gut fahren. Ich bin schon wirklich gespannt, wie gut die neuen Songs auf der Tournee aufgenommen werden.
Die anstehende Tournee erfolgt demnach ohne Orchester?
Ja, weil die Sache nicht so einfach zu gestalten ist. Wir planen zwar in Zukunft weiterhin Auftritte zu speziellen Anlässen mit Orchester, für eine Tournee wäre ein solches Unternehmen aber schlichtweg unmöglich zu finanzieren. Bei Bedarf müssen wir eben auf Einspielungen der Passagen zurückgreifen. Man darf für die Tournee generell mit einigen Überraschungen rechnen, vor allem was die Setlist betrifft!
Wer sich die Band anläßlich der Gastspielreise hierzulande zusammen mit FREEDOM CALL angesehen hat, wird wissen was Peavy und seine Begleiter da aus dem Hut gezaubert haben.
Photo: Katja Piolka