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Es steht außer Frage, daß die zweite KARELIA-Platte »Raise« ein erst­klassi­ges Werk ist, doch ebenso sind die Unterschiede zum Vorgänger »Usual Tragedy« deutlich: Der Symphonic Metal der Franzosen hat eine deutlich kühlere Textur erhalten. Da die Band allerdings nicht nur an ihrem Stil gefeilt, sondern auch mit dem Feuer gespielt hat, mußte Matthieu Kleiber, der Sänger und Ober-Pyromane von KARELIA, Rede und Antwort stehen.

Es hat sich einiges gegenüber der ersten Platte »Usual Tragedy« geändert: Vor allem die Opernchöre, die bei zuvor stellenweise noch richtig herausstachen, werden auf »Raise« dezenter eingesetzt und sind besser in das Gesamtbild integriert.

Die Chöre sollten einfach nicht mehr so stakatomäßig eingesetzt werden, sondern sollten eher in den Dienst der Gesamtatmosphäre der Songs gestellt werden. Ich glaube, daß wir bei unserem ersten Album zu sehr drauf versessen waren, möglichst viele Elemente in die Songs zu stopfen. Mittlerweile sind wir der Meinung, daß wir damals zu weit gegangen sind und halten uns heute viel mehr an das Prinzip "Weniger ist mehr".

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Wie seid Ihr überhaupt auf die Idee gekommen, daß klassische Elemente eine solch dominante Rolle in Eurer Musik einnehmen sollten?

Ich glaube, daß mit Gitarre, Baß und Schlagzeug schon alles gemacht wurde und wir können das nicht besser machen. Daher haben wir nach Möglichkeiten gesucht, unsere Musik vielseitiger zu gestalten. Wir haben von Anfang an versucht, Streicher und ähnliche Instrumente in die Songs zu integrieren. Damals hatten wir mit echten Instrumenten gearbeitet, doch es war auf Dauer zu schwierig, die Zusammenarbeit mit allen Musikern unter einen Hut zu bekommen, so daß wir den Entschluß faßten, ab sofort nur noch mit synthetischen Mitteln zu arbeiten.

Wie werdet Ihr dies in Zukunft fortführen?

Wir werden verstärkt auf die elektronische Schiene gehen. Denn klassische Instrumente sind eigentlich dazu bestimmt, allein zu spielen und nicht mit verzerrter Gitarre & Co. vermischt zu werden. Für diese Vermischung eignen sich synthetische Instrumente hingegen sehr gut.

Die meisten Bands gehen diesbezüglich genau andersherum vor: Am Anfang arbeiten sie - meist aus Kostengründen - mit Samples, streben jedoch stets an, im Endergebnis mit echten Instrumenten zu arbeiten. Aktuelle Beispiele von NIGHTWISH bis zu EDGUY, die letztendlich sogar auf die Zusammenarbeit mit einem ganzen Orchester gebaut haben, konnten das verdeutlichen.

Ich denke, daß dahinter oft nur ein Marketinggedanke steckt; es wirkt beeindruckend, wenn man eine Metalband zusammen mit einem riesigen Orchester sieht. Doch vom technischen Standpunkt aus bin ich mir nicht sicher, daß ein echtes Orchester wirklich einen Schritt nach vorne bedeutet. Selbst bei Soundtracks wie beispielsweise zu "Herr der Ringe" gibt es einen großen synthetischen Anteil in der Musik, denn mittlerweile hat sich die Technik stark verbessert.

In ›Disharmonic Dogmas‹ kann man eine Sitar hören. Wie kam es dazu?

Die Sitar wurde nur im Intro des Songs verwendet, da es thematisch sehr gut paßt: In ›Disharmonic Dogmas‹ geht es um Religionskriege, die heute noch genauso wie vor tausend Jahren toben. Natürlich werden wir uns auch in Zukunft bemühen, unseren musikalischen Horizont zu erweitern. Für die nächste CD haben wir bereits einen Song geschrieben, bei dem wir auch mit indianischen Tribalrhythmen arbeiten werden. Ich finde es nämlich unbefriedigend, wenn wir uns nur innerhalb der starr abgesteckten Grenzen eines klar definierten Genres bewegen würden.

Seht Ihr Eure Stücke als Songs im klassischen Sinne an? Meiner Ansicht nach ist eine klare Auftrennung in Strophe, Bridge, Chorus, Solo, etc. bei den Songs Eurer neuen CD nur noch teilweise möglich.

Wir haben eine sehr ungewöhnliche Methode beim Songwriting, so daß unsere Songs in der Struktur wirklich sehr eigen sind: Die grundlegenden Kompositionen stammen von unserem Keyboarder Bertrand Maillot oder mir. Doch diese Basics werden dann von der kompletten Band teilweise stark überarbeitet. Die nächsten Variationen findet statt, sobald Lionel Vest sich um die Arrangements kümmert. Lionel, hatte die Band gemeinsam mit mir gegründet, arbeitet mittlerweile allerdings aus beruflichen Gründen nur noch hinter den Kulissen mit und ist hauptsächlich für die Arrangements und die computertechnischen Sounds zuständig. Im Studio schließlich ergeben sich oft in letzter Minute weitere Veränderungen. Oft ist es so, daß ich im endgültigen Song meine ursprüngliche Komposition nicht mehr wiedererkennen kann.

Also könntet Ihr damit leben, wenn jemand Eure Musik eher als soundmalerisch oder filmmusikartig beschreiben würde?

Soundtracks sind mit Sicherheit einer unserer wichtigsten Einflußquellen. Wenn ich komponiere habe ich meist eine Vision vor mir und die Klänge ergeben sich dazu nahezu von selbst.

KARELIA-Einzelshot: Matthieu Kleiber

Schafft Ihr es, Eure Musik live umzusetzen, ohne daß es wie eine Playbackshow wirkt? In dieser Hinsicht gibt es bekanntlich einige unrühmliche Beispiele...

Wir arbeiten mit vielen, vorgefertigten Samples, die unser Drummer Loïc Jenn kontrolliert, so daß wir immer sehr präzise spielen müssen, wenn nicht alles in einem großen Chaos untergehen soll. Bei jenen anderen Bands, auf die Du anspielst, ist der orchestrale Part die Grundlage der Musik, während bei uns jene Parts, die wir tatsächlich live spielen oder singen, den größten Stellenwert haben und die Samples somit nur unterstützend wirken. Daher wird bei uns kein Playbackeindruck aufkommen, aber wir werden es trotzdem schaffen, daß wir live nahe an die CD heranreichen werden. Eine Band wie NIGHTWISH hat bewiesen, daß man den Spagat zwischen Samples und Livemusik sehr souverän handhaben kann.

Ihr scheint Euch Eurer Sache sehr sicher zu sein, obgleich Ihr noch nicht viel Bühnenerfahrung sammeln konntet.

Bis dato haben wir nur Einzelshows mit THE GATHERING, KAMELOT oder VANDEN PLAS gespielt. Wir warten noch darauf, eine richtige Tour spielen zu können. Leider waren nach der Veröffentlichung unseres Debuts mehrere Tourmöglichkeiten flachgefallen. Außerdem haben wir in der Vergangenheit etliche Angebote für Shows abgelehnt, da wir uns noch nicht fit genug fühlten, live mit den Samples zu spielen. Daher haben wir die Zeit lieber genutzt, um an unserem Zusammenspiel zu arbeiten.

Es gibt ein großes Unterscheidungsmerkmal zwischen Euch und den allermeisten anderen französischen Bands: Eure Texte sind in Englisch verfaßt, was in Eurer Heimat durchaus unüblich ist. Warum habt Ihr diese Entscheidung getroffen?

Ich weiß, daß die französische Szene im Ausland keinen allzu guten Ruf hat - was allerdings nicht von ungefähr kommt, da in der Vergangenheit tatsächlich etliche schlechte Platten aus Frankreich kamen. Für uns war es von Anfang an klar, daß wir englisch singen wollen, denn ich glaube, daß sich eine romanische Sprache generell nicht für Metal eignet.

Warum habt Ihr in Form von ›High Hopes‹, dem Quasi-Titelsong der letzten PINK FLOYD-Platte »The Division Bell«, einen Song der FLOYD-Neuzeit ausgewählt?

Ich selbst bin ein großer Roger Waters-Fan und stehe eigentlich nicht sonderlich auf die letzte PINK FLOYD-Platte »The Division Bell«. Ich hätte lieber ›Comfortably Numb‹ gecovert, wurde aber von meinen Mitmusikern überstimmt, da ›High Hopes‹ - allein schon wegen des Keyboardthemas - einfach bekannter ist.

Dein Gesang hat sich über die Jahre stark verändert: Auf den Demos hattest Du nahezu ausschließlich einen kehligen Düstergesang verwendet, der auf »Usual Tragedy« nur noch gelegentlich auftauchte und auf »Raise« allenfalls mal noch als kurzer Effekt verwendet wird. Woher rührt diese Veränderung?

Damals war ich ein großer Fan von Fernando Ribeiro von MOONSPELL und stand auf Bands wie TYPE O NEGATIVE. Zudem nervte mich damals der typische Heavy Metal-Gesang, so daß ich nach einer anderen Ausdrucksform suchte. Auf »Usual Tragedy« wurde diese Kombination von hoher und tiefer Stimme zwiespältig aufgenommen - manchmal gab es sogar Leute, die davon überzeugt waren, daß KARELIA zwei Sänger hätten - so daß wir uns entschlossen, uns von dieser alten Stimmlage zu verabschieden.

Mir persönlich hat Dein Düstergesang nie gefallen, da er völlig affektiert klang. Hast Du Dich mit diesen Vocals nicht mehr wohlgefühlt oder warum wurde sie ad acta gelegt?

Ich habe gerne in diesem Stil gesungen. Der Hauptänderungsgrund waren wirklich die Publikumsreaktionen, denn unsere Fans sind letztendlich unsere Chefs! Früher hatte ich nie in mittigen Lagen gesungen, was auf »Raise« jedoch der Fall ist, so daß mein Gesang vielseitiger und abwechslungsreicher geworden ist.

Mir hat Euer erstes Demo nicht sonderlich gefallen, wobei der Drumcomputer einen großen Nachteil darstellte. Allerdings habt Ihr es geschafft, einige der darauf befindlichen Songs aufzumöbeln, so daß sie auf Eurem Debut »Usual Tragedy« ein gutes Bild abgaben.

Die Computertechnik hat sich in diesen Jahren deutlich verbessert und außerdem haben wir eine Menge dazugelernt, wie man diese Technik einsetzen kann. Ich kann Dir nur zustimmen, daß auf dem ersten Demo einiges im Argen war, aber die grundlegenden Songideen waren okay, so daß es schade gewesen wäre, sie komplett zu verwerfen. Daher haben wir diese frühen Songs komplett überarbeitet und auf unseren Erstling gepackt. Letztendlich ist sogar einer der Demosongs auf »Raise« gelandet: Er hieß damals ›Farewell‹ und wurde nun zu ›Unbreakable Cordon‹ umgewandelt. Wenn man sich die beiden Songs anschaut, wird man jedoch feststellen, daß sie kaum noch etwas miteinander gemein haben - wie das bei uns anscheinend so üblich ist...

Warum trug eigentlich Euer zweites Demo den gleichen Titel wie das Debut?

Das »Usual Tragedy«-Demo erschien nur wenige Monate vor dem Debut, denn letztendlich war es ausschließlich dazu gedacht, daß wir uns bei Plattenfirmen bewerben konnten. Im Grunde war es also eine Pre-Production für die Platte.

Eine weitere Parallele stellt das Cover der ersten Demo-CD sowie des Debutalbums dar: Ihr habt für »Usual Tragedy« das Motiv, das Ihr schon für die Demo-CD verwendet hattet, einfach nochmal von Markus Mayer, den man durch seine Artworks für GRAVE DIGGER, EDENBRIDGE & Co. kennt, malen lassen. Wie kam es dazu?

Für die Demo-CD hatten wir keine Rechte an dem Cover, sondern wir hatten es im Internet gefunden und verwendet. Als wir den Deal mit DRAKKAR unterschrieben hatten, wollten wir das Motiv für unser Debut verwenden, doch der amerikanische Maler, von dem das Bild stammt, verlangte Unsummen für die Rechte und als er hörte, daß wir einen Plattenvertrag unterschrieben hatten, erhöhte er seine Forderung gleich nochmal... Also haben wir einfach Markus Mayer beauftragt, das Motiv neu zu malen und insoweit zu verändern, so daß wir keine rechtlichen Probleme bekommen würden.

Und Markus' Engel zeigt etwas mehr Brust, aber weniger Po; lautete so Eure Richtlinie?

Nein, wir ließen ihm freie Hand, doch im Endergebnis mußten wir ihn sogar bremsen, denn er hatte noch endlos viele Ideen, die er gern in seine Version gepackt hätte.

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Warum habt Ihr das neue Album »Raise« genannt? Es steht zu vermuten, daß es mit dem Gesamtkonzept der Platte zusammenhängt; nicht umsonst habt Ihr eine Rede von Adolf Hitler in den Titelsong eingebaut.

Uns hat fasziniert, daß das Wort "raise" im Englischen so viele verschiedene Bedeutungen annehmen kann; ich will dabei nur an Ausdrücke wie "raise an army" oder "raise people" erinnern, von denen wir im Text von ›Raise‹ etliche aufzählen.
Obgleich »Raise« kein Konzeptalbum ist, dreht sich ein Teil der Platte darum, daß wir einfach nicht verstehen können, daß es ein einziger Mann schaffen kann, so viele Menschen auf seine kranken Dogmen einzuschwören. An dieser Stelle setzt beispielsweise ›Disharmonic Dogmas‹ an, das wie erwähnt von Religionskriegen handelt; allerdings ist Adolf Hitler das schlimmste Beispiel dafür diesen Sachverhalt, das man in der Geschichte finden kann. Ähnliche Phänomene gibt es aber auch heute noch, so daß wir uns dieses Themas annehmen wollten.
Wir haben uns letztendlich sogar dazu entschlossen, eine Rede von Adolf Hitler in den Song ›Raise‹ einzubauen; mir läuft es auf jeden Fall immer eiskalt den Rücken runter, wenn ich diesen Mann reden höre. Unsere Plattenfirma DRAKKAR hatte Bedenken dagegen, daß wir diesen Sprachpart einbauen, aber wir bestanden darauf, daß wir ihn beibehalten, obwohl uns der Gefahren bewußt sind - vor allem wenn man bedenkt, daß unser Album auch in Israel verkauft werden wird. Aber ich bin mir sicher, daß es uns gelingen wird, unser wahres Anliegen glaubhaft zu vermitteln.
Wir leben nahe der deutschen Grenze und man kann sehen, wie groß die Gemeinsamkeiten zwischen Deutschen und Franzosen sind. Daher kann ich einfach nicht begreifen, daß im letzten Jahrhundert zwei Kriege zwischen beiden Völkern getobt haben.

Woher stammt Euer Bandname, und hat er eine spezielle Bedeutung?

Als wir vor etwa fünf Jahren begannen, waren Bands wie THEATRE OF TRAGEDY oder TRISTANIA unsere Haupteinflüsse, so daß unsere Musik viel düsterer und depressiver klang. Wir entdeckten damals, daß in Finnland einen Landstrich namens "Karelien" gibt, der auf uns einen sehr trostlosen Eindruck gemacht hat, so daß wir dachten, es würde gut zu unserer Musik passen. Mittlerweile haben wir herausgefunden, daß NIGHTWISH aus eben jener Gegend stammen, nach der wir uns benannt haben - jetzt müßte sich also irgendwann eine finnische Band "Alsace" nennen...
Darüber hinaus gibt es eine Sinfonie mit dem Namen "Karelia" von dem russischen Komponisten Michail Michailowitsch Ippolitow-Iwanow, die unserem Arrangeur Lionel sehr gut gefällt. Vor allem war es aber wichtig, daß der Name gut klingt und einprägsam ist.

http://www.karelia.fr.st/

kareliaband@aol.com

Vorbereitung, Interview & Bearbeitung:
Stefan Glas

KARELIA (F) im Überblick:
KARELIA (F) – Karelia (Do It Yourself-Review von 2002 aus Online Empire 11)
KARELIA (F) – Restless (Rundling-Review von 2008 aus Online Empire 35)
KARELIA (F) – Usual Tragedy (Do It Yourself-Review von 2002 aus Online Empire 13)
KARELIA (F) – Usual Tragedy (Rundling-Review von 2004 aus Online Empire 18)
KARELIA (F) – Online Empire 24-Interview (aus dem Jahr 2005)
KARELIA (F) – News vom 26.04.2009
KARELIA (F) – News vom 22.08.2011
KARELIA (F) – News vom 26.11.2011
Soundcheck: KARELIA (F)-Album »Usual Tragedy« im "Soundcheck Heavy, oder was!? 74" auf Platz 47
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